Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

8. Verschriftung und Verschriftlichung im Mittelalter

8.3 Hochmittelalter: Scholastische Verschriftlichung

Das scholastische Lesen wurde insbesondere durch den Didascalion des Hugo von St. Victor (1096–1141) befördert, der die stille "ars legendi" lehrte, bei der sich der Leser in seine Zelle zurückzog.

Mit diesem Wechsel der Lesehaltung gehen Veränderungen des Schriftbilds einher, das nun nicht mehr als "Partitur für fromme Murmler" (Illich 1990), sondern als Layout für scholastische Zwecke der Wissensorganisation diente (vgl. Lektion 9).

Auch in formaler Hinsicht unterscheiden sich die Manuskriptkulturen. Dies betrifft zum einen das Verhältnis von Literalität und Oralität. Die mündliche Überlieferung war ja keineswegs mit der Schrifteinführung beendet, sondern blieb lange die dominante Kommunikations- und Ausdrucksform. Auch den Texten selbst ist anzumerken, dass sie weitgehend mündlichen Sprachmustern folgt – es handelt sich um "Verschriftungen" gesprochener Sprache, die für das Vorlesen, also wiederum für Sprecher, gedacht waren. Erst in der Scholastik kommt es zu "Verschriftlichungen" in dem Sinne, dass sich textspezifische Merkmale herausbilden.

"Verschriftung": Gilt für alle Manuskriptkulturen bis zu dem Zeitpunkt, wo sich das Schriftbild vom reinen Vorlesetext entfernt. Bis zur Scholastik waren die Texte zum Vorlesen bzw. laut lesen bestimmt.

"Verschriftlichung": In dem Moment, wo das Layout sich verslebständigt und nicht mehr nur orale, sondern visuelle Botschaften enthält: Rubriken, Indizes, Register, Inhaltsverzeichnis etc.

8.3 Hochmittelalter: Scholastik写作
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