Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

0. Einführung

0. Ãœbersicht
Die Urszene einer medienkritischen Betrachtung der Schrift ist ein von Sokrates in Platons Dialog Phaidros fingierter
Mythos: Thoth (oder Theuth), der Gott, der nach ägyptischer Überlieferung die Schrift erfunden hat, soll seine Erfindung
dem König Thamus zur Beurteilung vorgestellt haben. Anstatt dem stolzen Erfinder Lob zu spenden, bemängelt Thamus,
dass durch die neue Aufzeichnungstechnik das Erinnerungsvermögen der Menschen mangels Gebrauch geschwächt werde
(0.1).
Platons Medienkritik hat – ironischerweise dank des kritisierten Mediums – zweieinhalb Jahrtausende überlebt und erscheint heute aktueller denn je: Kaum eine medienwissenschaftliche Abhandlung verzichtet auf die Erwähnung jener Mythenstelle aus dem Phaidros – freilich mit sehr unterschiedlichen Interpretationen (0.2).
Welche der Interpretationen heutigen Studierenden am meisten einleuchtet, ermittle ich jedes Jahr zu Beginn der
Vorlesung mit einer Umfrage (0.3).
Vor diesem Hintergrund werden die Leitfragen der Vorlesung entwickelt:
• was die Auswirkungen des Schreibens und Lesens auf den Menschen sind (Lektion 1–4),
• welche kulturhistorischen Veränderungen die Einführung der Schrift mit sich brachte (Lektion 5–8)
• und welchen Einfluss die Mechanisierung bzw. Digitalisierung der Schrift sowohl auf ihre Verbreitung wie auf ihre
Marginalisierung im Mediensystem hatten (Lektion 9–12).

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