Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

0. Einführung

II. Schriftgeschichte(n)

Als er aber an die Buchstaben gekommen, habe Theuth gesagt: "Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel für Erinnerung und Weisheit ist sie erfunden." Jener aber habe erwidert: "O kunstreicher Theuth, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu bringen; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für die Gedächtnisstützung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. Denn indem sie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden sie sich auch vielwissend zu sein dünken, obwohl sie größtenteils unwissend sind, und schwer zu behandeln, nachdem sie dünkelweise geworden statt weise."

Abb.: Thoth vor dem Sonnengott Re-Harachte. Aus dem Totenbuch der Prinzessin Nestanebteschra (11. Jh. v. Chr.). Pap. Brit. Mus. 10554 Col. 52, 21. Dyn, Theben.

0.1 Der Mythos von der Erfindung der Schrift (Platon: Phaidros 274e1-275b2)

Dass Thoth (in Platons Schreibweise Theuth) der Erfinder der Schrift sei, entspricht der ägyptischen Überlieferung. Die Griechen, die der erheblich älteren ägyptischen Kultur mit Ehrfurcht begegneten, machten Anleihen bei dieser Überlieferung (ähnlich wie später die Römer bei den Griechen).

Eine willkürliche Zutat Platons zu dieser Überlieferung ist es aber, wenn er Sokrates von jenem legendären Gespräch zwischen Thamus und Theuth berichten lässt. Bemerkenswert ist daran, dass der griechische Philosoph das für seine Zeit neue Medium der Schrift einer so rigorosen Kritik unterzieht. Ist das nur jene Abwehrhaltung, die wir häufig vorfinden, wenn ein neues Medium das gewohnte alte zu bedrohen scheint?

Auffällig ist jedenfalls, dass Platons Schriftkritik in dem Moment wieder populär wird, als mit dem Computer abermals ein neues Aufzeichnungsmedium das Vorgängermedium abzulösen scheint ...

II. Schriftgeschichte(n)0.1 文字发明的传说(柏拉图:斐德罗篇 274e1-­‐275b2)
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