Peter Matussek

Historische Anthropologie der Animationstechnik

8. Animation als Automation

8.1 'L'homme machine'

8.3 Wolfgang von Kempelen

8.0 Animation als Automation

Diesem Projekt hatte sich das ausgehende 18. Jahrhundert auf breiter Fornt verschrieben. Die Animation durch den Betrachtungsvorgang  wurde abgelöst durch die technische Animation der Artefakte.
Heinrich von Kleist wird kurz darauf in seiner Erzählung Ãœber das Marionettentheater versuchen, diese Akzentverschiebung geschichtsphilosophisch  zu deuten:
Dornauszieher (Spinario)
Die Erzählung nimmt u.a. das Beispiel des antiken Dornausziehers als Inbegriff eines paradiesischen Urzustands, in dem der Mensch noch über die natürliche Grazie verfügte, also frei von Scham war. Den Konstrast zum modernen Menschen illustriert er an einem Jüngling, der nach dem Bade zufällig in einem Spiegel erkennt, daß er die anmutige Pose des antiken Dornausziehers  eingenommen hat. In dem Moment, wo ein Bewußtsein seiner selbst entsteht und er gegenüber dem Skepsis vortäuschenden Freund  die Pose willentlich herzustellen sucht, scheitert er. Die natürliche Grazie wird durch Reflexion entstellt. Der Erzähler zieht aus dieser – für die Ära der Mechanisierung – exemplarischen Beobachtung keine maschinenstürmerischen Konsequenzen, sondern postuliert im Gegenteil : Eine Rückkehr ins Paradies könne nur durch den Hintereingang, nach einer  vollständigen Umrundung der Welt, im konsequenten Voranschreiten auf der Bahn der Technisierung erfolgen.  Denn die vollendete Grazie hat entweder das Tier oder die mechanische Gliederpuppe, da beide nicht durch hemmende Bewußtseinsakte in Ziererei verfallen  – ihr fehlendes Bewußtsein konvergiert mit dem unendlichen Bewußtsein  Gottes , ihre absolute Schamlosigkeit mit absoluter Vollkommenheit.
Mit dieser merkwürdig kulturoptimistisch, ja futuristisch anmutenden Deutung der Tendenz zum Schamverlust bei zunehmender Technisierung des Lebens hat Kleist eine Haltung beschrieben, die zu den typischen Bewältigungsstrategien medienrevolutionärer Schocks gehört: Die hemmungslose Bejahung. Sie bildet das Pendant zu den ebenso typischen Defensivreaktionen, die das Neue neuer Medien  mit forcierter Zuwendung zum Alten beantworten.
Auf unserer nächsten Zwischenlandung – der Einführung des kinematographischen Bewegungsbildes um 1900 – läßt sich das gut beobachten: die komplementären Reaktionsmuster ebenso wie ihre gegenseitige Relativierung in dem Moment, da das neue Meidum seine eigene Ästhetik zu entwickeln beginnt. Ich gehe auf diese Phase näher ein, weil sich manches für die Computermoderne daraus lernen läßt.

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