Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

8. Verschriftung und Verschriftlichung im Mittelalter

8.2.3 Wandel der Bildfunktion

Vergilius Vaticanus (um 400)
Ornithiaka des Dionysios (vor 512)
Wiener Genesis (6. Jh.): Geschichte Jakobs (1. Mose 32)
Codex purpureus Rossanensis (6. Jh.)

8.2.4 Wandel der Bildfunktion

Mit der Christianisierung geht ein allmählicher Wandel der Bildfunktion einher: von der antiken Naturnachahmung zur frühmittelalterlichen Entsinnlichung.

In der römischen Spätantike überwiegen zunächst noch realistische Bilder, die das irdische Leben in detailreicher Ausschmückung darstellen: Der um 400 entstandene Vergilius Vaticanus (Abb. oben links), eine illustrierte Sammlung der Texte Vergils, zeigt lebensnahe Figuren mit individuellen Zügen und verstärkt die Bildwirkung durch Umrahmung der Szenen. Und die Ornithiaka des Dionysios (oben rechts), ein Lehrgedicht über die Vögel, das vor 512 im sog. Wiener Dioscurides erschien, lässt große Liebe zum Detail und naturalistische Ambitionen erkennen.

Auch die Bücher christlichen Inhalts übernehmen zunächst diesen lebensnahen Bildcharakter: So zeichnet sich der Codex purpureus Rossanensis aus dem 6. Jh. (unten links) ebenfalls noch durch aufwendige Detailzeichnung und Farbgebung aus.

Gegen diesen Darstellungstyp wendet sich jedoch bald die christliche Bildkritik.
Schon der Kirchenvater Hieronymus (347–420), der Verfasser der ersten lateinischen Bibelübersetzung ("Vulgata"), polemisierte: "Man färbt das Pergament mit Purpur, schreibt Lettern mit Gold und schmückt die Bücher mit Edelsteinen, während Christus nackt vor euren Türen steht und stirbt." (nach Janzin/Güntner 1995, S. 52)

Eine Abkehr von der antiken Darstellungsform im Sinne des Hieronymus vollzieht die Wiener Genesis aus dem 6. Jh., eine Bildfolge im "kontinuierenden Stil" (d.h. ein Bild enthält mehrere Szenen): Die Personendarstellung erscheint nun eher stilisiert, statisch und flächig; der Realismus wird zurückgenommen zugunsten einer Schematisierung, die die Aufmerksamkeit vom äußeren Erscheinungsbild weg- und zum geistigen Sinn hinwendet.

Kaiser Leo III. (717-741) schloss die Hochschule von Konstantinopel und verbot 726 die Bilderverehrung. Diese Phase des Ikonoklasmus dauerte bis 842.

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