Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

8. Verschriftung und Verschriftlichung im Mittelalter

8.2.4 Bildkultvermeidung

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Hagia Eirene, Konstantinopel (4. Jh.)
Hildegard v. B.: Liber Scivias (um 1220)
ebd., Das Weltall


Codex Alexandrinus, BvB S. 45 (6. Jh.)
Book of Durrow HuM54 (spätes 7. Jh.)
Book of Kells, HuM62/BvB55 (spätes 8. Jh.)

8.2.4 Bildkultvermeidung

In der heidnischen Antike waren Bilddarstellungen selbstverständlich, aber am Anfang der jüdisch-christlichen Überlieferung steht das Bilderverbot. Bis zur Zeit der staatlichen Anerkennung des Christentums hat die Kirche die Verwendung von Bildern grundsätzlich bekämpft und die Gotteshäuser von ihnen freigehalten. Eusebius bezeichnete die Darstellung Christi im 3. Jh. noch als schriftwidrig und götzendienerisch. Mit dem 5. Jh. setzte eine stärkere Bilderproduktion ein; das Bild des Erlösers wurde zum Kultobjekt, das vor bösen Geistern schützen sollte. Dem Bild wurde magische Wirkung zugeschrieben. Papst Gregor unterstützte die Bildproduktion im 6. Jh. zu didaktischen und missionarischen Zwecken.

726 verbot Kaiser Leo III. die Idolatrie (Bildverehrung), wodurch der große byzantinische Bilderstreit in die Geschichte eingegangen ist: Bilderfreunde vertraten die Meinung, dass die einem Bild erwiesene Verehrung dem Urbild gelte und auf dieses übergehe. Die Ikonoklasten sahen im Bilderdienst hingegen ein heidnisches Ritual und damit eine Erniedrigung des Göttlichen; sie zogen das abstrakte Zeichen (Verschmelzung von Bild und Schrift) vo


Im Mittelalter werden die Folgen deutlich: Schrumpfte in ikonoklastischer Zeit das Bild zum Symbol und lud sich dabei mit Bedeutung auf, so verwandelt sich nun der Buchstabe ins Bild zurück und gibt der Bedeutung erneut sinnliche Gestalt. Die Abb. links ist ein Beispiel für eine solche Figureninitiale: Das "T" des "Te igitur" aus dem Canon missae wird zum Bild einer Anbetungsszene.

Ab dem 6. Jh. gewinnt die Initiale in dem Maße an Geltung und Ausdruck, in dem die Miniatur flächenhafter wird, an körperlicher Plastizität verliert.

Im 7. Jh. entstehen merowingische Codices mit floralen und abstrakten Ornamenten, Arkaden aus Ranken und Blattschlingwerk, Zierleisten aus Flecht- und Bandmustern. Die Initialen treten als Bildelemente in den Vordergrund; sie werden in den Text eingerückt. Vorreiter hierfür sind die irischen Schreibschulen – z.B. das Book of Durrow aus dem späten 7. Jh. (Abb. oben Mitte) oder das Book of Kells aus dem späten 8. Jh. (Abb. oben rechts), wo die Initiale die ganze Seite einnnimmt. Das Wort ist selbst zum Bild geworden.

Eine andere Variante, das Verbot der Bildanbetung zu umgehen, ist das nichtikonische Vertändnis der Illustration. Der Begriff der Illustration leitet sich aus lat. illustrare = erleuchten, erhellen, ab. So gehen auch die christlichen Buchillustrationen ihrer Intention nach über die rein visuelle Darstellung hinaus. Sie dienen als Medium der Erleuchtung und versinnbildlichen geistige Gehalte. Ein markantes Beispiel hierfür ist das liber scivias, eine Illustration von 26 mystischen Visionen der Hildegard von Bingen (1098-1179) mit symbolhaften Bildern und prophetischen Ankündigungen (Abb. oben rechts). Die mystischen Visionen erhalten hier eine Bildgestalt, die ihren geistigen Inhalten gerecht werden soll.

8.2.4 Bildkultvermeidung写作
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