Medienästhetik der Schrift

8.1 Spätantike: Kodifizierungen

In der Römischen Antike und Spätantike vollziehen sich "Kodifizierungen" in einem dreifachen Wortsinn:

1. "Codex" (vom lat. Wort für "Baumstamm") nannten die Römer eine von ihnen eingeführte Innovation der Schriftträger: Holztafeln, die aufeinandergestapelt und an einer Kante scharnierartig zusammengebunden wurden. Von dieser Vorform des Buchs, die zunehmend die bisherigen Schriftrollen ablösten, gab es zwei Varianten:
• ceratae, Tafeln mit Vertiefungen, in die Wachs gegossen wurde, um mit einem Metallstift darin Notate für den Alltagsbebrauch zu ritzen, die dann wieder durch Glätten des Wachses gelöscht werden konnten,
• und non-ceratae, besonders dünne Holztafeln, auf die mit Tinte geschrieben wurde.
Später wurde dann das Holz durch Pergament abgelöst. Der Name Kodex aber beibehalten – da auch die zusammengehefteten Pergamentseiten von Holzplatten eingebunden wurden.
Kodifizierung in diesem ersten Sinne heißt also "Buchwerdung".

2. Von dieser buchstäblichen Verwendung des Wortes abgeleitet ist dessen generalisierte Verwendung für alles schriftförmig niedergelegte und damit standardisierte Wissen. So entstanden in spätrömischer Zeit viele Lehrbücher zur Geschichtsschreibung, Rhetorik, Kriegskunst, Lebensführung und Politik. Zugleich wurden auch die Schriftvarianten der römischen Adaption des griechischen Alphabets vereinheitlicht und in diesem Sinne "kodifiziert".

3. Die Christianisierung des Römischen Reichs ab dem 4. Jh. ging einher mit einer Unterdrückung nicht-christlicher ("paganer") oder von der Orthodoxie abweichender ("häretischer") Lehren. Kaiser Justinian I. (um 482–565) sorgte im Jahre 529 für die Schließung der Platonischen Akademie, ließ heidnische Bücher verbrennen und Rechtsvorschriften zusammen stellen, die der neuen christlichen Ordnung Stabilität geben sollten: den Corpus Iuris Civilis. Kodifizierung in diesem Sinne heißt "systematische Zusammenfassung geltenden Rechts".