Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

1. Physiologie des Lesens

1.2 Neurophysiologie des Lesens

Links: Kandel u.a. (1995), S. 17. Rechts: Hauer/Herschey (2007)

Broca-Areal: Sprachproduktion, Wernicke-Areal: Sprachverstehen
Angeborene Heuristiken:  
im Labor       • in der Praxis

Dehaene (2007) Abbildung links: S. 386, Abbildung rechts: S. 389 – Ansicht von unten.

1.2 Die für Sprachverarbeitung zuständigen Gehirnareale

Ende der 1980 Jahre konnte erstmals mit bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht werden, welche Gehirnregionen bei den verschiedenen Modi der Sprachverarbeitung aktiv sind. Die Abb. links zeigt frühe PET-Scans (von Positronen-Emissions-Tomographie) solcher Aktivitäten: Beim Lesen ("Looking at words") wird zunächst der Visuelle Kortex im Hinterkopf aktiviert. Von dort werden die Signale an verschiedene Gehirnregionen weitergeleitet, die spezielle Analysefunktionen übernehmen:

Für das phonologische Verstehen von Sprache – nicht nur im Falle mündlicher Kommunikation, sondern auch beim Lesen – ist das  Wernicke-Areal (B) zuständig. Es ist benannt nach dem Neurologen Carl Wernicke, der seine besondere Funktion 1874 als erster beschrieb.

Für die motorische Hervorbringung von Sprache und ihre grammatische Analyse ist das Broca-Areal (C) zuständig. Sein Name geht auf den französischen Chirurgen Paul Broca zurück, der es 1861 entdeckte.

Die neuere Gehirnforschung konnte mit verfeinerten bildgebenden Verfahren zeigen, dass die Sprachverarbeitung im Gehirn über mehrere weitere Zwischenschritte verläuft. Für den Vorgang der Schrifterkennung erweist sich dabei die untere Schläfenregion im Hinterhaupt als essentiell (Abb. unten links, roter Punkt). Untersuchungen an Patienten mit Alexie ("Wortblindheit") haben gezeigt, dass diese Region speziell auf Schriftzeichen reagiert (Abb. unten rechts).

Alle genannten Funktionen beziehen sich auf die dominante Gehirnhälfte – bei Rechtshändern ist das die linke. Aber auch die (im Regelfall) rechte Gehirnhälfte ist an der Sprachwahrnehmung und -verarbeitung beteiligt. Sie reagiert auf atmosphärische und emotionale Aspekte der Sprache (Klangfarben, Sprachmelodie etc.).

Die beiden Videos machen deutlich, dass viele der genannten Funktionen im Gehirn schon angelegt sind, also nicht erst mit dem Spracherwerb ausgebildet werden. Sie bilden die neuronale Grundlage für Erwartungssysteme des Gehirns – sog. "Heuristiken" (von griech. heuriskein = finden), die während der Sprach- oder Schriftwahrnehmung Vermutungen über deren Sinn bereitstellen und damit das Verständnis sehr beschleunigen.

1.2 Neurophysiologie des Lesens1.2 与处理语言相关的大脑区域
SprechblaseSprechblase
Fragezeichen