Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

10. Von der Gutenberg- zur Turing-Galaxis

10.3.1 Frühe Neuzeit: intensives bzw. nützliches Lesen

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Leserad (1588)
Bibliotheksraum des Cusanusstift in Bernkastel-Kues (erbaut 1451-1458)
Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (1643/44 eingerichtet), Quelle: Frankenwald Bayern

10.3.1 Frühe Neuzeit: intensives bzw. nützliches Lesen

Bis weit ins 16. Jahrhundert hinein war Lesen vor allem eine Angelegenheit für Gelehrte und primar auf seine Nützlichkeit für den Wissenserwerb ausgerichtet (vgl. Assmann 1985, S. 97–100).

Es handelte sich dabei um ein "intensives" Lesen in dem Sinne, dass nicht viele verschiedene Bücher, sondern immer wieder dieselben gelesen wurden – neben den sakralen Schriften die großen Philosophen, Enzyklopädien, Chroniken und ähnliches (vgl. Stein 2006, S. 261 f.). Um diese kanonischen Bücher, die in der Regel groß und schwer waren, nicht immer wieder hin- und hertragen zu müssen, wurden sie nicht selten auf solchen Leserädern (Abb. oben links) verfügbar gemacht.

Dass die Leserschicht unter sich blieb, dafür sorgte ihre spezielle Sprache, das Latein, die 'lingua franca' der Gelehrten jener Zeit.

Zu den berühmtesten Bibliotheken in der Frühen Neuzeit gehört die Sammlung des St.-Nikolaus-Stifts (Cusanus-Stift) in Bernkastel-Kues an der Mosel (Foto oben Mitte). Der Raum wurde eigens nach dem Tod des Stiftungsvaters Nikolaus von Kues 1464 für dessen Nachlass geschaffen. Die meisten der heute noch vorhandenen 314 Handschriften aus dem 9.-15. Jahrhundert enthalten Texte in lateinischer Sprache; schlichte Gebrauchshandschriften, Arbeitsexemplare mit eigenhändigen Randnotitzen des Cusaners.

Ein zweites prominentes Beispiel aus dieser Epoche ist die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Sie wurde damals als "achtes Weltwunder" gepriesen und galt zur Zeit des Todes von Herzog August 1666 als die weltgrößte Sammlung gedruckter Bücher mit rund 35.000 Bänden und 135.000 Titeln. Für deren Aufstellung wurde eine univerelle Systematik entwickelt, die alle damaligen Wissensgebiete abdeckte. In der Folgezeit wuchs die Bibliothek vor allem durch Schenkungen fürstlicher und gelehrter Sammlungen, was eine stetige Überarbeitung und Ausdifferenzierung der Kataloge nach sich zog. Wissenschaftliches Arbeiten war zu jener Zeit eng verknüpft mit der Systematisierung von Büchern. So betätigten sich bedeutende Gelehrte wie Gottfried Wilhelm Leibniz und Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel als Bibliothekare.

Das Foto unten links zeigt den neoklassizistisches Neubau von 1887.

10.3.1 Frühe Neuzeit: intensives bzw. nützliches Lesen10.3.1 近代早期:集中且有用的阅读
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