Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

7. Die griechische Schriftrevolution

7.4.1 Die Textstelle

"Vieles nun soll Thamus dem Theuth über jede
Kunst dafür und dawider gesagt haben, welches
weitläufig wäre alles anzuführen.
Als er aber an die Buchstaben gekommen, habe
Theuth gesagt:
'Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser
machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel
für Erinnerung und Weisheit ist sie erfunden.'
Jener aber habe erwidert: 'O kunstreicher Theuth,
einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu bringen;
ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und
Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden.
So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben,
aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken.
Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr
Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung
der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift
sich nur von außen vermittels fremder Zeichen,
nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden.
Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für die
Gedächtnisstützung hast du ein Mittel erfunden
,
und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen
nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. Denn indem
sie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden
sie sich auch vielwissend zu sein dünken, obwohl
sie größtenteils unwissend sind, und schwer zu behandeln,
nachdem sie dünkelweise geworden statt weise."

7.4.1 Die Textstelle

Im Zentrum der Schriftkritik Platons steht dieses von Sokrates erfundene Gespräch zwischen dem ägyptischen Schreibgott Theuth und dem Gottkönig Thamus

Dessen Argument beruht auf der Entgegensetzung der Modi "von außen" (griech.: "exothen") und "von innen" (griech.: "endothen"). Der eine wird der Gedächtnisstützung (den "Hypomnemata") der Schrift zugeordnet, der andere dem Erinnern im Sinne einer inneren Aktvität.

Schon der Beginn des Dialogs rekurriert auf diese Entgegensetzung: Sokrates will "hinein" (in die Stadt); Phaidros will "hinaus".

Auch die Standpunkte in den Reden von Lysias und Sokrates (nachdem dieser sich bei Eros entschuldigt und neu ansetzt) repräsentieren diesen Gegensatz: Lysias argumentiert "von außen", indem er den Nichtverliebten favorisiert, während Sokrates "von innen" begründet, dass nur ein Verliebter den Ansporn erfahren kann, die Wahrheit zu schauen. Das griechische Wort "philosophia" heißt denn auch: "Liebe zur Weisheit".

7.4.1 Die Textstelle写作
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