Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

6. Die antiken Schriftkulturen

6.2.0 Mythischer Erfinder der Schrift: Thoth

Jan Assmann (1992)                                    Faulkner/Andrews (1972)                               Casson (1965)

Links: Thoth notiert, ob das Herz des Verstorbenen weniger wiegt als die Feder von Maat. Quelle: Faulkner/ Andrews (1972). Eckart Sackmann (2006) bezeichnet diesen Papyrus als frühesten Vorläufer des Comics.

Rechts: Atum, Seschat und Thoth schreiben die Namen Ramses' II auf den heiligen Baum in Heliopolis.
Quelle: Erman (1934), Tafel 2.

6.2.0 Mythische Erfinder der Schift: Thoth alias Hermes

Nach der Mythologie der Ägypter wurde die Schrift von Thoth erfunden – einem Gott mit Ibiskopf, der typischerweise mit dem damals verwendeten Schreibzeug, Schreibbinse und Tuschpalette, dargestellt wird. Thoth ist zugleich der Gott des Mondes, der Magie, der Gelehrten, der Wissenschaft, der Weisheit und des Kalenders. Unter anderem soll er auch die Brettspiele erfunden haben. 

Über die Frage, warum die Ägypter diesen Gott mit einem Ibiskopf darstellten, gibt es verschiedene Spekulationen, die aber nicht durch Quellen belegt sind. So könnte die Tatsache, dass er u.a. der Gott des Mondes ist, für die Wahl des Ibis sprechen, weil seine Schnabelform an die Mondsichel erinnert. Einen Bezug zur Schrift könnte man zum einen daraus ableiten, dass die Schnabelform einem Schreibgriffel ähnlich sieht – und zwar einem aus Schilfrohr, wie es die Ägypter verwendeten; denn der Ibis nutzt seinen langen Schnabel, um Insekten aus schlammigen Gebieten zu ziehen, wobei der Vergleich mit dem als Schreibinstrument verwendeten Schilfrohr naheliegt. Zum anderen daraus, dass Der Flug in Linien- oder Keilförmigen Formationen als eine Art von ,,Schrift" wahrgenommen wurde.

Die Griechen übernahmen diesen Mythos von den Ägyptern und tauften Thoth um in Hermes (Abb. o. rechts), den sie auch als Götterboten, Gott des Handels und Totenführer verehrten (und deshalb mit Flügelhelm darstellten). Von dem Namen Hermes leiten sich die Wörter "Hermetik" (Geheimwissenschaft) und "hermetisch" (luft- und wasserdicht), aber auch "Hermeneutik" (Kunst der Auslegung) ab.

Der ägyptischen Mythologie können wir auch entnehmen, dass das Notieren von Zahlen, das gemeinhin als älteste Form der Schriftverwendung gilt, nicht allein profanen Zwecken  (Registratur von Vorräten, Handelsgütern, Messergebnissen etc.) diente, sondern in sakrale Kultpraktiken eingelassen war (Abb. u. links):

Auf dem Papyrus aus dem ägytischen Totenbuch (ca. 1310 v. Chr.) sehen wir in der Mitte Thoth als Aufschreiber von Zahlen:

Anubis (links) führt den Pharao Hunerfer zum Wägen seines Herzens (linke Schale) gegen die Feder von Maat (rechte Schale). Anubis wird dann noch einmal gezeigt, wie er die Waage prüft. Thoth schreibt das Resultat auf, beobachtet von Ammit, der "großen Fresserin" (die mit dem Kopf eines Krokodils, dem Vorderkörper eines Löwens und dem Hinterteil eines Nilpferds die gefährlichsten Tiere Ägyptens repräsentiert), welche Seelen, die mit Sünde beladen sind, verschlingt. Nachdem Thot das Ergebnis der Messung notiert hat, wird Hunefer von Horus (mit Falkenkopf) zu Osiris (auf dem Thron) geführt.

Vielleicht noch älter als das Zählen dürfte das (bis heute an prominenten Orten ausgelebte) Bedürfnis sein, den eigenen Namen zu verewigen, wie es die Abb. u. rechts zeigt.

6.2.0 Mythischer Erfinder der Schrift: Toth神秘的文字发明者:托特
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