D 06

Zur Physiologie des Lesevorgangs

 

Um 1860 begannen Physiologen, die Augenbewegungen beim Lesen, die sog. Ophtalmokinesen, in Laborexperimenten zu untersuchen. Hierfür wurde das Tachistoskop eingesetzt, ein Gerät, das die Expositionsdauer und Erfassungszeit von Buchstaben zu bestimmen erlaubt. Die Abbildung rechts zeigt ein "Falltachistoskop", wie es Wilhelm Wundt verwendet hat.

Die Beantwortung der Frage, ob das Lesen ein gestalthaft wahrnehmender Vorgang ist, der die Wörter simultan an ihrer "Gesamtform" erkennt, oder ob es sich vielmehr um ein serielles Erfassen von Buchstabenfolgen handelt, blieb lange umstritten. Ein Grund hierfür ist der manipulative Effekt der Versuchsanordnungen (vgl. Kittler 1985): In den Versuchen mit dem Falltachistoskop veränderte sich der Lesevorgang unter den Bedingungen immer kürzerer Expositionszeiten, bis nur noch einzelne Zeichen zu erkennen waren. Auf diese Art kam die irrige Annahme zustande, das Lesen sei ein serielles Erfassen.

XXX
Bildquelle: Zimmerman (1903)
  XXXX

  Heute gebräuchliche Verfahren sind:
  
  • Elektrookulographie (EOG), bei der die     Potentialdifferenzen zwischen Cornea und Retina     gemessen werden,
  
  • Reflexionsmethoden, bei denen unsichtbares
    Infrarotlicht auf die Pupille gelenkt und auf Video
    aufgezeichnet wird, das dann mit speziellen Verfahren
    entwickelt wird,
  
  • Blickaufzeichnungen mit Lesebrillen (s. Abb. links).

  Bildquelle: www.wu-wien.ac.at:80/inst/iwwmfl


Mit solchen Verfahren läßt sich nachweisen, daß die Augenbewegung beim Lesen keineswegs ein kontinuierlicher Vorgang ist, sondern sich in unmerklichen Sprüngen, sog. "Saccaden", vollzieht. Diese können in Plotter-Diagrammen (nächste Seite) sichtbar gemacht werden.