Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

5. Ursprünge der Musik

5.1 Naturalistische Ansätze

Quelle: Zentner, Marcel R. / Kagan, Jerome: Infant's perception of consonance and dissonance in music. In: Infant Behavior and Development 21.3 (1998), S. 483–492.

5.1 Naturalistische Ansätze

Die Frage nach den Ursprüngen der Musik naturalistisch zu beantworten heißt, den menschlichen Uranlass zur Hervorbringung von Klängen evolutionsbiologisch zu begründen, also aus Dynamiken, die sich auch im Tierreich beobachten lassen.

Solange die christliche Metaphysik sakrosankt war, derzufolge der Mensch von Gott geschaffen und damit von vornherein vom Tier unterschieden sei, konnten solche Ansätze nur unter Lebensgefahr vertreten werden. Mit der Spätaufklärung wurde diese Schranke zwischen Mensch und Tier durchlässig. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts häuften sich die Theorien, denen zufolge der Mensch lediglich ein höher entwickeltes Tier sei.verfolgt die sich im 19. Jh. etablierende Evolutionsbiologie einen radikaleren Naturalismus, indem sie davon ausgeht, dass der Impuls zur musikalischen Äußerung bei Tieren wie Menschen gleichermaßen der Fortpflanzung durch Erhöhung der sexuellen Attraktivität diene. In seinem Hauptwerk Die Abstammung des Menschen (1871) schreibt Darwin, "dass musikalische Tone und Rhythmen ursprünglich von den mannlichen oder weiblichen Vorfahren des Menschen erworben wurden, um auf das andere Geschlecht einen Reiz auszuuben" (Darwin 1871: II, 358, nach Rosing/Roederer 1985: 344).

Die Tatsache, dass eine starke musikalische Performance die Kopulationsbereitschaft des anderen Geschlechts steigert, spricht für diese Argumentation: "Die Zahl der Geschlechtspartnerinnen von Rockstars kann Hunderte Male hoher sein als bei einem normalen Mann, und fur die Größten ihrer Zunft, wie Mick Jagger, scheint das Aussehen dabei keine Rolle zu spielen" (Levitin 2009: 325).

Dass menschlicher Gesang also Paarungsreize auslöst, die tief in der Naturgeschichte verankert sind, wird auch durch die bisweilen starke Ähnlichkeit mit Tierlauten nahegelegt, wie sie etwa der Vergleich zwischen dem Balzruf eines Gibbons und einem Koloratursopran oder dem eines Hirschs mit dem Growling eines Heavy Metal-Sängers.

Die Genealogie der Musik aus natürlichen Ursprüngen macht neben evolutionsbiologischen neuerdings auch hirnphysiologische Beobachtungen geltend. So wird die – interkulturell weithin geteilte – Bevorzugung konsonanter gegenüber dissonanten Intervallen in einschlägigen Studien bereits an Kleinkindern verifiziert (die also noch keine kulturspezifischen Lernvorgänge erfahren haben können). Ich habe mir den Spaß gemacht, das Experiment von Zentner/Kagan (1998) an meiner Hündin Edi zu verifizieren (s. Video rechts unten).

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