Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

6. Die antiken Schriftkulturen

6.5.3 Griechenland III: Verlust der Schrift (ca. 1200 – 750 v. Chr.)

Homerbüste. British Museum, London.

Die Seevölkerkriege (ca. 1200–800)

Friedrich Klütsch: Die Seevölkerkriege. ©ZDF/arte 2008.

 

6.5.3 Griechenland III: Verlust der Schrift (ca. 1200 – 750 v. Chr.)

Da keine Schriftzeugnisse in der Zeit nach dem Verschwinden von Linear B bis zur Einführung des phönizischen Alphabets gefunden wurden, nimmt man für den Zeitraum von ca. 1200 – 750 v. Chr. eine Phase der Schriftlosigkeit an. In dieser Zeit entstanden die homerischen Epen (s. 6.5.3.1). Sie rekurrieren auf die Seevölkerkriege des 13./12. Jahrhunderts: Die Ilias handelt vom Kampf um Troja, die Odyssee von der Heimkehr des griechischen Helden Odysseus – mit den typischen Merkmalen oraler Überlieferung (s. 6.5.3.2).

Bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts v. Chr. erlebten die Staaten des östlichen Mittelmeerraums einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung, begünstigt insbesondere vom Seehandel. In der Folgezeit aber wurden diese kulturellen Zentren in rascher Folge nahezu vollständig zerstört: Mykene, Troja, das Hethiterreich, Zypern, Ugarit. Insofern verwundert es nicht, dass die Schrifttradition in Griechenland abbrach. Es dauerte Jahrhunderte, bis die Griechen im 9. oder 8. Jahrhundert den Schriftgebrauch wiederaufnahmen – auf der Grundlage eines ganz anderen Schriftsystems: des phönizischen Alphabets.

Die genauen historischen Ursachen für den Untergang der östlichen Mittelmeerkultur sind bis heute ungeklärt – eben weil es keine schriftlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt. Fest steht nur, dass es Völker waren, die auf dem Seeweg über die Region herfielen. Diese "Seevölker" waren offenbar daran interessiert, neue Siedlungsgebiete zu finden – vielleicht, weil sie in ihrer Heimat durch eine Naturkatastrophe (Vulkanausbrüche, Überschwemmungen o.ä.) ihre Lebensgrundlagen verloren hatten. Neueste archäologische Funde (vgl. Zangger 2016) deuten darauf hin, dass die ominösen "Seevölker" sich hauptsächlich aus Luwiern rekrutierten, einem Volksstamm in der Region der heutigen Westtürkei. Da Troja in ihrem Siedlungsgebiet lag, könnte der Kampf der Griechen um die Sadt den Luwiern gegolten haben, die außer Troja noch hunderte weitere Siedlungen in der Region besaßen .

6.5.3 Griechenland III: Verlust der Schrift (ca. 1200 – 750 v. Chr.) – "Singen" und "Sagen"6.5.3 古希腊III:文字的遗失(约公元前1200-750年)——“唱”和“说”
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