4.3

Julia Kristevas "Intertextualität"

 


Julia Kristeva (*1941)

Den Begriff der Intertextualität leitet Kristeva aus Bachtins Beobachtung der Dialogizität der Literatur ab (vgl. Bachtin 1979), die auf der Grundlage von Derridas écriture und Lacans Unbewußtem als einer Sprache des anderen spezifiziert wird:

"Für Bachtin ist der Dialog nicht nur die vom Subjekt übernommene Sprache, sondern vielmehr eine Schreibweise (écriture), in der man den anderen liest, […]  So bezeichnet der Bachtinsche Dialogismus die Schreibweise zugleich als Subjektivität und als Kommunikativität, oder besser gesagt als Intertextualität. […] Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes." (Kristeva 1967, S. 351 u. 348)

Grundsätzlich unterscheidet Kristeva zwei Textebenen: Zum einen den "Phänotext", den wir explizit vor uns haben; zum anderen den "Genotext", aus dem jener hervorgeht:
"Das, was wir [… ] Genotext genannt haben, umschließt alle semiotischen Vorgänge (Triebe, ihre Dispositionen, den Zuschnitt, den sie dem Körper aufprägen, und das ökologische und gesellschaftliche System, das den Organismus umgibt [...]), aber auch die Heraufkunft des Symbolischen (Auftauchen von Objekt und Subjekt, Konstituierung von Sinnkernen [...]) Also bildet der Genotext die Grundlage der [kommunikativen] Sprache, die wir mit dem Terminus Phänotext kennzeichnen." (Kristeva 1974, S. 95)

Lachmann (1990), Genette (1993) und andere haben den Intertextualitätsbegriff typologisch weiter differenziert (4.3.1).

Was es heißt, "zwischen den Zeilen" zu lesen und im Phänotext den ihm zugrundeliegenden Genotext zu erkennen, macht eine Animation von Marc Padovano und Wim Roegels anschaulich (4.3.2).