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Sampling als Erinnerungstechnik

Was diese allerdings von ihren analogen Vorläufern unterscheidet, ist ihr indifferenter Bezug auf das musikalische Gedächtnis. Beim Sampling ist alles erlaubt, was berauschende Geräusche verursacht – Wiedererkennung des verwendeten Materials ist in der Regel kaum möglich und meist auch gar nicht erwünscht. So findet sich etwa auf der CD Moment of Truth von Gang Starr (1998) ein Statement gegen Plattenfirmen, die aus Werbezwecken die Namen ihrer gesampelten Bands preisgeben: Schon in den Achtziger Jahren bezeichnete Eric B. "solche Enthüllungen als ein Geschenk an die Faulen, als Verfall der Detektivkünste guter DJs" (vgl. Steinwald 2001).

Während in Monteverdis Kontrast-Arrangement oder noch im Schweigen von Cage der Konzertbetrieb qua bestimmter Negation präsent bleibt, ist das Ideal von Techno das reine Vergessen, ohne Bewußtsein dessen, wovon es sich ablöst. Die musikalische Erinnerungstechnik schlägt auf ihrem technologischen Höhepunkt in reinen Präsentismus um. "Es gibt kein gestern im Leben der Nacht", schreibt Rainald Goetz (1998) in seiner Erzählung Rave (S. 229), die ein erschrockener Kritiker als vielfach variierte "Fanfare der Anti-Erinnerung" charakterisiert (Arend 1998, S. 13).

Gas: Königsforst. Mille Plateaux 2000.


Selbstverständlich ist diese Sicht auf die Techno-Variante orphischer Mysterien eine grobe Vereinfachung. Aus dem innersten Bereich dieser Musik gehen auch Gegentendenzen hervor.

So operieren die mittlerweile hochdifferenzierten Verfahren des Sound-Sampling mit akustischen Allusionen, die an früher Gehörtes erinnern, ohne daß es genau identifiziert werden kann.

Wolfgang Voigt etwa erzeugt in seiner Produktion Königsforst aus vielfach "geloopten" Wagner- und Debussyfragmenten ein technologisches Waldesrauschen, das sich wie eine wehmütige Klage über den Verlust einer Trancefähigkeit ausnimmt.

Diese Trancefähigkeit lebte im Prozeß der abendländischen Musikgeschichte immer wieder vermittelt auf, blieb aber letztlich unerfüllte Sehnsucht und konnte nur in der befremdlichen Vagheit von déjà entendu-Erlebnissen erinnert werden.