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Der Orpheus-Mythos

 

Orpheus stammt als Sohn der Muse Kalliope in direkter Genealogie von Mnemosyne ab. Unter anderem klagt er so bewegend über den Verlust seiner Geliebten, daß ihr Erinnerungsbild lebendig wird: Er kann Eurydike aus dem Hades zurückholen.
Das älteste bildliche Zeugnis der Sage von Orpheus' Gang in die Unterwelt ist das Original zu dieser Nachbildung einer Grabplatte aus dem späten 5. Jahrhundert v. Chr.:

Hermes, Eurydike, Orpheus - Grabplattenrelief in Neapel und Rom; Louvre Ma 854. Quelle: Perseus.

Das Verbot des Umblickens taucht zwar erst bei Vergil auf, dürfte aber eine Interpretation älterer Quellen über die Macht der Musik sein, die die sichtbare Welt transzendiert.
In Ovids Version der Geschichte heißt es explizit, daß die reanimierte Eurydike solange folgt, wie Orpheus nicht versucht, ihrer im Bild habhaft zu werden – "avidus" (Met. X, 56), also "gierig, habsüchtig" ist das Attribut, mit dem Ovid den tabuisierten Blick charakterisiert. Nur virtuell, als Schatten, ist das Erinnerungsbild lebendig, wie etwas in diesem Inszenierungsbeispiel illustriert.