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Der Pygmalion-Mythos

Wir kennen die Geschichte des Bildhauers, der sich eine Frau nach seinen Wunschvorstellungen schafft, zwar erst aus Ovids Metamorphosen, aber es ist evident, daß sie ältere Überlieferungen aufgreift. Bei den Griechen steht sie mit den Mythen von der Entstehung der Plastik in Verbindung. Diese soll – Plinius zufolge – der korinthische Töpfer Butades erfunden haben, der seiner Tochter über den Schmerz der Trennung von ihrem fernen Geliebten hinweghalf, indem er eine Nachbildung des Mannes aus Ton anfertigte (Historia Naturalis, XXXV, 151).


Pierre Firens: Pygmalion und die Propoetiden (1619)


Sandrart: Teutsche Academie d. edlen Bau- Bild- u. Mahlerey-Künste



Auch in Ovids Geschichte geht es um die künstlerische Erzeugung einer Anwesenheit in der Abwesenheit. Ihr zentrales Motiv, das den Vorgang der Animation des Artefakts anschaulich macht, ist die Scham: Pygmalion hat sich von den Propoetiden abgewendet, weil diese schamlos gewesen sind, und zur Strafe in Stein verwandelt wurden. Als besseren Ersatz schafft er sich nun eine Skulptur, die den Ausdruck der Schamhaftigkeit annimmt.