Peter Matussek

Audio–Video–Lego. Mediale Inszenierungen von Selbstaufmerksamkeit

 


Vortrag mit Multimedia-Präsentation 16.7.2001, Medienstudiengang Universität Siegen.

 

     
 

Die in meinem Vortragstitel angesprochene Inszenierung von Selbstaufmerksamkeit halte ich für eine ästhetikgeschichtlich zentrale Strategie der Medienproduktion. Der Antipode der Selbstaufmerksamkeit ist die Vigilanz, d.h. die alarmbereite Fokussierung auf Signalreize, denen wir heute reichlich ausgesetzt sind, weil eine ganze Aufmerksamkeitsökonomie daran verdient, unsere Sinne gefangen zu nehmen. Ein aktuelles Beispiel sind Filme wie

Start

Pearl Harbour,  mit denen die Materialschlachten des sogenannten "realistischen" Kinos reglemäßig ihr Publikum gewinnen. Der Film schoß sogleich an die Spitze der Kinocharts. Doch seltsamerweise scheint in den letzten Wochen das Kriegstrauma der Amerikaner zum zweiten Mal Inbegriff einer peinlichen Niederlage geworden zu sein – diesmal für den Disney-Konzern. Dessen ehemaliger Produktionsleiter Jeffrey Katzenberg, der nach einem spektakulären Rechtsstreit bei seinem einstigen Arbeitgeber ausgeschieden war, konnte ausgerechnet mit

Klick ins Bild: shrek

diesem so unheroisch dreinblickenden Digitalmonster  namens "Shrek" die Diney-Krieger das Fürchten lehren. In kürzester Frist verdrängte Katzenbergs Firma Dream Works die Konkurrenz von Platz 1.

Klick ins Bild: shrek-Film

Das vollständig mit digitalen Mitteln erzeugte Werk steckt voll ironischer Anspielungen auf Disneys verkitschten Perfektionismus und offenbart dessen zwanghafte Seiten:

laut (Bildbewegung kontrollieren, ggf. entschuldigen: eigentlich viel t...)

Der zu kurz geratene Lord, der mit Gewaltandrohung gegen das Medium reagiert, wenn ihm dieses nicht zur narzißtischen Bestätigung seiner Größenphantasien verhilft, repräsentiert aber nicht nur Traumfabrikanten wie Michael Eisner, "Katzenbergs Intimfeind bei Disney". [1] Wir alle sind gemeint, wenn der Medienspiegel der Virtuellen Realität uns mit der beschämenden Feststellung konfrontiert, unser "Real Life" sei "technically not perfect".

Und unser typisches Reaktionsmuster ist Wut auf den Spiegel: Die Überheblichkeit, die uns von den Computerscreens entgegenstrahlt,

Klick ins Bild: Shrek_stumm

läßt in uns allen bisweilen den Ruf nach dem Folterknecht laut werden, der diesen Klugscheißern demonstriert, was man mit ihnen machen wird, wenn sie nicht genau so reagieren, wie wir es wünschen. Solche Alltags-Beobachtungen sind es, die die Märchensatire Shrek realistischer erscheinen lassen als das sogenannte "realistische Kino".

Klick ins Bild: Badcomputerday

In der Tat müssen wir nicht lange suchen, um Beispiele für das gezeigte Reaktionsmuster in unserem Computeralltag zu finden.

Wie eine in Wired veröffentlichte Umfrage enthüllt, haben Delikte dieser Art in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Telepolis meldet unter der Überschrift Unschuldige Rechner, bis auf den Saft gequält: "Jeder Vierte mißhandelt seinen Computer". [2] Und dies sei nicht etwa auf die typisch britische Hooliganmentalität zurückzuführen: In Spanien liege die Gewaltquote gar bei 57 Prozent. Merkwürdig an diesen Mißhandlungen unschuldiger Rechner sei vor allem, daß über die Hälfte der Täter angaben, daß sie gleichzeitig Verehrung für den PC empfänden.

Die Merkwürdigkeit klärt sich indessen auf, wenn man sich das gezeigte Video etwas genauer ansieht.

Klick ins Bild: Badcomputerday stumm

Denn es ist ja gar nicht der "Rechner", der hier gequält wird: Der Mann prügelt auf die In- und Output-Komponenten, Tastatur und Monitor, ein – wahrhaftig Unschuldige –, während die eigentliche Ursache der Fehlfunktion – die CPU auf dem Schreibtisch – völlig unbehelligt bleibt:

zeigen

Ein Beispiel erfolgreicher Simulation. Der digitale Maschinengott ist ein deus absconditus; er beweist seine Omnipotenz gerade dadurch, daß wir ihn nur in seinen Werken gewahr werden, während seine Wirkursachen unsichtbar bleiben.

So richtet sich beides, Verteufelung wie Verehrung, auf die Komponente der neuen Medien, die uns – ungeachtet der Immergleichheit ihrer Basisoperationen Übertragen, Speichern Prozessieren – ihr wechselndes Gesicht zukehrt: auf das Interface.

Klick ins Bild: Karikatur

Das Interface ist es, das unsere computerisierte Alltagspraxis und ihre Riten maßgeblich bestimmt – sei es im Sinne dionysischer Raserei oder appollinischer Domestizierung. Es sind just die sogenannten Benutzeroberflächen, die tief in unsere Lebenswelt eingreifen. Ihr Schein gehört mindestens ebenso zum Wesen der digitalen Kultur wie dasjenige, was er beharrlich verbirgt.

Wer also Medienwissenschaft betreiben will, um den Wirkungen der neuen Technologien auf den Grund zu gehen, der kommt ohne Medienphänomenologie nicht aus. Dieses Ergänzungsverhältnis aber ist nicht so leicht zu bestimmen, da wir es hier mit völlig unterschiedlichen Formen der Wirklichkeitskonstituierung zu tun haben. Um das ein wenig zu verdeutlichen, erinnere ich an ein Beispiel, mit dem Merleau-Ponty (1945) seine phänomenologische Analyse des Kinos illustrierte.

Klick ins Bild: Zugbeispiel.mov

Ein vertrautes Szenario: Wir sitzen in einem Zug; neben uns ein zweiter. Unser Zug fährt an. Wir entfernen uns immer rascher vom Fleck

Halle

– um dann verdutzt festzustellen, daß wir in Wirklichkeit immer noch stehen. [3]

Aber was heißt hier "Wirklichkeit"? [4] Hat das Erlebnis einer Bewegung nicht stattgefunden, wenn es durch den Anblick der äußeren Situationsmerkmale – hier der Bahnhofskonstruktion – korrigiert wird?

So wenig wir uns von der eigentlich falschen Redeweise lösen können, daß die Sonne "auf- und untergeht", so wenig können wir die lebensweltliche Realität übergehen, die uns von den Bewegungsbildern suggeriert wird. Und unabhängig von den objektiven physikalischen Wahrheiten entspringen aus unseren subjektiven Wahrnehmungen Handlungsimpulse, die lebensbestimmende Folgen haben können – etwa, indem ein romantischer Sonnenuntergang unsere Paarungswilligkeit  erhöht oder ein Computerabsturz – wie in dem gezeigten Beispiel – uns zu Gewalttaten veranlaßt, die wir später bereuen.

Klick ins Bild: Programmer homeless

Auch wenn wir uns auf das Innere der Maschine konzentrieren, macht uns das keineswegs unabhängig von der Interface-Kultur. Auch Hardcore-Programmierungen auf Betriebssystem-Ebene

Klick ins Bild: Pearl_Hex.jpg

sind auf sogenannte "Umgebungen" angewiesen, die unseren Wahrnehmungsgegebenheiten entsprechen. Schon auf dieser Ebene also ist es nicht die Maschine selbst, mit der wir kommunizieren, sondern die sogenannte "Shell". [5]

Suggestive Multimedia-Interfaces,

Klick ins Bild: Lara-Film Fedi

sind lediglich eine Verstärkung dieses Prinzips der Anpassung an unsere Wahrnehmungsgegebenheiten. Sie spiegeln unsere Alltagsrealität, aus der sie den User gleichsam abholen. Nur weil sie an vertraute Wahrnehmungsmuster appellieren, können sie ihn  in virtuelle Sphären entführen.

Losfahren lassen

Der Reiz solcher Spielwelten besteht darin, daß wir die äußere Realität unseres Fixiertseins am Monitor vergessen und die Illusion der Bewegungsbilder als höhere Realität nehmen.

Klick ins Bild: Lara-2

Wir durchstoßen die gläserne Wand des Monitors; das Interface als solches – eigentlich nur ein "Pixelbrei" – verschwindet mit unserem Eintauchen in die Bewegungsbildfluten. Und wie ein Taucher, der sich nach kurzer Eingewöhnung in das neue Element als Fisch unter Fischen fühlt, reflektieren wir nicht auf das Medium, das uns umgibt, da es uns zur natürlichen Umwelt geworden ist.

Das geht freilich nur solange gut, wie wir nicht mit den Bedingtheiten des Mediums konfrontiert werden.

Klick ins Bild: Lara-3

Wer im Wasser nicht zuhause ist, muß irgendwann zurück an die Oberfläche – der Immersionseffekt stößt an die einprogrammierten Grenzen;

Game over

das Spiel des Scheins ist aus und auf der Medienschwelle beginnen wir wieder zu ahnen: Es gibt auch ein Leben hinter dem Bildschirm.

Wie dieses Leben aber durch den Umgang mit den neuen Medien verändert wird, können wir nur durch historische Vergleiche herausfinden.

Klick ins Bild: Panorama_Schnitt.jpg

Nach Jonathan Crary erfolgte der entscheidende Wendepunkt in der Betrachtertechnik mit dem Übergang vom klassischen Panorama, in dem sich die Menschen herumbewegten,

zeigen

zum Diorama,

Klick ins Bild: Diorama.jpg

in dem das Publiikum auf seinen Sitzen fixiert wurde,

zeigen

während die Apparatur die Bewegung vornahm.

Klick ins Bild: panorama_london.mov,

Maus ins Bild, mit Ctrl aufziehen, beim Weitersprechen schnell herumfahren

Wir beerben demnach eine Konstellation des frühen 19. Jahrhunderts: Vom Diorama über das Kino bis zur digitalen Animation werden wir zum Stillsitzen verurteilt, damit unsere Wahrnehmung um so intensiver in Bewegung versetzt werden kann.

Doch aus dieser technischen Perspektive allein lassen sich kulturhistorische Veränderungen kaum stringent begründen.

Klick unter das Bild: Steinzeit.jpg

Animationstechniken, die darauf setzen, daß der Betrachter einen ganz bestimmten Blickwinkel einnimmt, lassen sich bereits für die Steinzeithöhlen nachweisen: Das Wisent rechts etwa ist nur sichtbar, wenn in einem ganz bestimmten Einfallswinkel Licht auf diesen Felsvorsprung fällt, der den Rücken des Tiers darstellt.

Klick ins Bild: Cybernaut und Legible_City

Umgekehrt verlangen die neuesten Experimente mit Immersions- oder Mixed Reality-Szenarios ihren Usern durchaus wieder körperliche Mobilität ab.

Vor allem aber wird unsere Wahrnehmung durch die Bewegungsbildtechniken nicht in einer festgelegten Weise konditioniert. Aus der Feststellung, daß das Medium die Botschaft ist, folgt nicht zwingend, daß mediale Praktiken in nachrichtentechnischen Modellen aufgingen. "Medien" dienen nicht nur der Kommunikation zwischen Sendern und Empfängern, sondern bewirken das Erlebnis einer Transformation der Beteiligten im Vollzug kultureller Praktiken. Um diese Dimension in den Blick zu bekommen, müssen wir die Gebrauchskontexte von Medien und die Art ihrer Datenpräsentation untersuchen – mit Niklas Luhmann gesprochen: die Form, die Medien jeweils annehmen.

Als Beispiel dafür, daß die Wahrnehmung eines Mediums sich auch gegen die ihm technologisch in die Wiege gelegten Prägetendenzen duchsetzen kann, erinnere ich an das Diorama-Erlebnis Walter Benjamins, das er in seiner Berliner Kindheit um 1900 festgehalten hat:

Klick ins Bild rechts oben: Kaiserpano

Anläßlich eines Besuchs im „Kaiserpanorama“ (das im strengen Wortsinn ein stereoskopisches Diorama war), beobachtete Benjamin, daß die von der Apparatur präsentierten Reisebilder gerade dann die stärkste Anziehungskraft auf ihn ausübten, wenn ihr illusionistischer Maschinnencharakter als solcher offenbar wurde: Ein leichtes Anrucken des abziehenden Bildes und eine Lücke, bevor das nächste aufzog, sowie die fahle Farblosigkeit der defekten Beleuchtung waren es, die den Zauber der Darbietung verstärkten, statt ihn zu desillusionieren. [6]

Benjamin beschreibt damit ein Phänomen, das seit je entscheidend zum Faszinosum der Kunst gehört: das Phänomen der ästhetischen Leerstelle, die gerade dadurch, daß sie etwas wegläßt, den Rezipienten zu imaginativen Ergänzungsleistungen anregt. "Habt Erbarmen und laßt eine Lücke", ermahnte schon Diderot die Maler, "damit meine Phantasie sie ausfüllen kann." Und Marshall McLuhan unterschied in eben diesem Sinne "heiße" und "kalte" Medien – je nachdem, wieviel sie dem Rezipienten zu ergänzen übrig lassen. (Daß er ausgerechnet das Fernsehen zu den "kalten", also phantasieanregenden Medien zählte, ist einem Gerücht zufologe, darauf zurückzuführen, daß er nur ein sehr schlechtes Schwarzweiß-Gerät besaß).

Ich möchte im folgenden darlegen, daß jedes Medium entsprechend gegen die Prägewirkungen seines bestimmungsgemäßen Gebrauchs eingesetzt werden kann, indem seine technische Funktionalität durch gestalterische Mittel unterlaufen oder als solche transparent gemacht wird. Der Effekt solcher Strategien ist, daß die Aufmerksamkeit des Rezipienten, statt von ihm abgezogen zu werden, auf ihn selbst zurückgewendet wird. Crary spricht von einer "attentiveness to attention itself" [7] , Aleida Assmann von transzendierender Aufmerksamkeit, die sie der strategischen Aufmerksamkeit des gewöhnlichen Medienkonsums entgegensetzt. Ich unterscheide analog zwischen Erinnerungstechniken und Mnemotechniken: Mnemotechniken sind auf Einspeicherung und Konsum von Wissensobjekten gerichtet; Erinnerungstechniken – mit Hegel gesprochen – auf ein "Sich-Inne-Werden", was seit je mit Mnemosyne, der Mutter der Musen in Verbindung gebracht wird und heute nicht von ungefähr mit dem Terminus der Selbstaufmerksamkeit umschrieben wird. Natürlich sind beide Memorialaspekte voneinander abhängig, aber ihr Verhältnis zueinander ist zwiespältig. Auch unser deutsches Wort Aufmerksamkeit enthält diese Ambivalenz: Das in ihm enthaltene Lemma "Merken" kann sowohl Einprägen bedeuten wie "Gewahrwerden". Wenn aber die Aufmerksamkeit – veranlaßt durch ästhetische Leerstellen – auf sich selbst aufmerksam wird, genau dann vollzieht sich der Übergang von der einen Bedeutungsnuance in die andere.

Klick ins Bild: Inhaltsverzeichnis – Close Window

Ich will das im folgenden an den drei Teilmomenten heutiger Multimediatechnik verdeutlichen. Dabei gehe ich zunächst separat auf die sinnesspezifischen Rezeptionsmodalitäten von Schrift, Bild und Klang ein, um schließlich ihr Zusammenspiel bzw. ihre Interferenzen zu erörtern. Die Einzeluntersuchungen nehme ich wiederum in einem perspektivischen Dreischritt vor:

– In systematischer Hinsicht suche ich als erstes zu bestimmen, inwiefern sich die Konstitutionsbedingungen und Effekte literaler, piktoraler und auditiver Leerstellen unterscheiden.

– In historischer Hinsicht greife ich sodann jeweils ein möglichst frühes Beispiel für die Verwendung entsprechender Erinnerungstechniken heraus, um drittens

– in komparatistischer Hinsicht  die Vergleichsfrage zu erörtern, ob solche Leerstellen-Strategien unter den Bedingungen digitaler Medien überhaupt noch funktionieren können und welche Konsequenzen daraus für eine Ästhetik der Multimedia-Produktion zu ziehen sind.

Dieses polyperspektivische Programm verfolgt den Zweck, Medienarchäologie und Medienphänomenologie im umfassenden Rahmen einer kulturhistorischen Komparatistik aufeinander zu beziehen. Während die Medienarchäologie objektivierend verfährt und die Bedingungen des Lesens, Sehens und Hörens im Sinne einer third-person-ontology untersucht, betreibt die Medienphänomenologie eine first-person-ontology, die sich für die Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen des rezipierenden Subjekts interessiert. Sie nimmt also die neulateinischen Termini Lego, Video und Audio beim Wort und fragt, was es heißt, daß ich lese, daß ich sehe, daß ich höre.

 

Die Webseiten, die ich Ihnen nun zeige, sind aus Begleitmaterialien zu einer Vorlesung zusammengestellt, die ich vor einigen Semestern an der Humboldt-Universität gehalten habe. Deshalb befindet sich darauf auch Text, zu dem ich Ihnen wie ein Versicherungsvertreter zur Beruhigung sagen kann: das Kleingedruckte müssen Sie nicht lesen. Auch wenn Sie angesichts der Mittagsstunde etwas wegdösen möchten, ist das nicht schlimm – ich wecke Sie dann schon von Zeit zu Zeit mit etwas rhythmischer Musik.

Ich beginne mit dem Bereich

I. Lego.

Klick auf Lego-Unterpunkt (1.1.)

Daß Texte uns zur Ergänzung von Leerstellen veranlassen, liegt schon in der Natur des Lesevorgangs begründet. Das ist nicht immer klar gewesen. An den Tachistoskop-Experimenten des frühen 20. Jahrhunderts hatte Friedrich Kittler

Klick auf Kittler

gezeigt, daß es die Versuchsanordnungen selbst waren, die zu der Fehlannahme vom seriellen Erfassen der Buchstaben führten – eine Fehlannahme freilich, die der technikgeschichtlichen Realität des maschinellen Schreibens entsprach. Allerdings läßt sich die physiologische Natur des Lesevorgangs auch 100 Jahre später nicht in dieses Schema pressen. Neuere Verfahren der Blickaufzeichnung

KLick unten 1.102b

machen deutlich, daß unsere Augen von einer Textstelle zur nächsten springen, wobei die Zwischenräume spontan mit Erinnerungsbildern ausgefüllt werden. Diese Ergänzungsleistungen können deshalb je nach persönlicher Situation des Rezipienten zu signifikanten Lesefehlern führen – so etwa, wenn eine studentische Hilfskraft beim Eintrag einer Warburg-Monografie in unsere Literaturdatenbank statt "Nachleben" der Antike "Nachtleben" tippt – und damit verrät, wo ihre Gedanken sind.

Klick auf "Versuche von Goldscheider und Müller

Zu ähnlichen Befunden führten allerdings schon die Versuche von Goldscheider und Müller 1893 –

Klick auf Lit

und zwar ebenfalls in Tachistoskop-Experimenten: Je nach dem Grad der Ähnlichkeit der kurz präsentierten Zeichengruppen

Klick auf drei Beispiele

war die Wiedererkennungsrate der Probanden höher oder niedriger.

Klick auf Ergebnisse

Henri Bergson hat daraus weitreichende Konsequenzen für seinen Begriff einer imaginativen Erinnerung gezogen.

Hochpfeil Bergson

Klick auf Bergson

Er folgert – und ich verändere das Zitat einmal entsprechend –:

Klick ins Zitat

"daß fließendes Lesen in Wahrheit ein Erahnen ist: unser Geist erfaßt da und dort schnell ein paar charakteristische Züge; den ganzen Zwischenraum füllt er mit Erinnerungsbildern aus, die er auf das Papier projiziert, wo sie die wirklichen gedruckten Buchstaben verdrängen, ersetzen, ja zu sein scheinen. So sind wir unaufhörlich schaffend oder rekonstruierend tätig". [8]

Dies kann als Vorwegnahme der Lesetheorie von Wolfgang Iser (1976)

Klick auf Iser

aufgefaßt werden, der die "Besetzbarkeit einer bestimmten Systemstelle im Text durch die Vorstellung des Lesers" (S. 284) zur Voraussetzung literarischer Wirkungen erklärte und dies auf die Funktion von "Leerstellen" zurückführte.

Hierbei geht es freilich nicht mehr um physiologische, sondern hermeneutische Kombinations- und Ergänzungsleistungen. Daß diese aber nicht erst mit der Polyperspektivik des modernen Romans auftauchen, sondern zu den ältesten literarischen Verfahren überhaupt gehören, möchte ich an einem Autor zeigen, den der Altphilologe Wilamowitz-Moellendorff als "ersten echten Schriftsteller der griechischen Antike" bezeichnete: nämlich Platon. [9] Damit komme ich

Hochpfeil

zum historischen Aspekt des Lego-Bereichs.

1.2,: Synopse

 

Platons Dialog Phaidros nehme ich als einen Prototyp für die literarische Inszenierung von Selbstaufmerksamkeit. Der Dialog thematisiert den damals gerade erst systematisch vollzogenen Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Tradition

zeigen: Schulunterricht

– aber nicht, wie vielfach behauptet wird, indem er die Oralität gegen die neue Literalität ausspielt, sondern indem er das neue Medium selbstreferentiell macht und dadurch die Aufmerksamkeit des Lesers für dessen Mängel weckt, so daß sie im Prozeß der Leküre transzendiert werden. Es handelt sich hierbei um eine Frühform von Intertextualität – Jan Assmann nennt sie "Hypolepse" –, die den von der Schrift bewirkten Verlust an situativer Erfahrung, die die mündliche Rede mit sich bringt, durch literarische Strategien  zu kompensieren sucht. [10] [11]

Der vermeintliche Schriftgegner Platon beherrscht dieses Verfahren m.E. perfekter als jeder andere antike Autor. Ich kann dies hier nur ausschnitthaft und in schematisch verkürzter Form darstellen:

Klick ins Bild: Schema

Sokrates spricht mit Phaidros. Dieses Gespäch ist aber nur der Rahmen für ein anderes Gespräch:

Oral

dem zwischen Theut und Thamus.

Das sind der ägyptische Gott der Weisheit und der Schrift (den die Griechen Hermes nannten) und ein sagenhafter altägyptischer Gottkönig. Das Szenario hat Sokrates sich ausgedacht – er fingiert einen Mythos über die Erfindung der Schrift,

literal

der in kaum einer Abhandlung zum neuesten Medienwechsel fehlt:

Sokrates' Erzählung zufolge

Klick auf "Kontext"

soll Theuth seine Erfindung dem König gegenüber mit dem Verkaufsargument angepriesen haben, sie werde die Ägypter "gedächtnisreicher" machen. Thamus aber soll laut Sokrates geantwortet haben, daß das Gegenteil der Fall sein werde: Die Schrift, sagt er, "wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen mittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden." Theuth alias Hermes habe ein zweifelhaftes Mittel gefunden, das die "Mneme" gerade dadurch schwächt, daß sie sie stützt:

Klick oben: auf Übersetzungen

Okoun mnemes alla hypomneseos pharmakon heures.

Schon die zahlreichen Übersetzungsversuche zu dieser Stelle machen deutlich, daß sich hinter der vermeintlich klaren Aussage hermeneutische Abgründe verbergen: So übersetzt eine Übersetzergruppe den Satz mit

Gruppieren

"Nicht für das Gedächtnis, sondern für die Erinnerung hast Du ein Mittel gefunden"

während die andere genau das Gegenteil sagt:

"Nicht für die Erinnerung, sondern für das Gedächtnis".

Klick auf "verteilt"

Noch komplizierter wird die Sache dadurch, daß Platon

Hochpfeil: zurück aufs Schema

seine im Gespräch über das Gespräch

oral'

enthaltene Schriftkritik

oral

seinerseuts schriftlich festgehalten hat:

literal

Dieser Selbstwiderspruch ist viel diskutiert worden. Ich glaube nicht, daß Platon sich seines literarischen Tuns in einem just davon handelnden Text nicht unbewußt war. Ich glaube vielmehr, daß er ein Verfahren vorführen will, wie mit Schrift über die im Dialog herausgestellten Begrenzungen der Schrift hinauszugehen ist. Dieses Verfahren operiert mit wiederholten Spiegelungen von Literalität und Oralität. Systemtheoretisch gesprochen: Beide Formen der Medialität werden jeweils in sich und in ihrem Verhältnis zueinander auf die Ebene eines Beobachters zweiter Ordnung gehoben. Platon vollzieht damit eine Verschachtelung von Textebenen, die sich gegenseitig durch Rahmengebung relativieren und so jeweils als situativ bedingte Darstellungsebenen kenntlich machen. Die innere Verschachtelung des Textes setzt dabei eine Dynamik in Gang, die über ihn hinaus fortgesetzt wird: Es ist schlechterdings nicht möglich, den Platonschen Dialog zu lesen, ohne daß der Leser dieses schriftkritischen Werks daran erinnert wird, daß er selbst gerade Leser einer Schrift ist.

literal'''

Die Lektüre wird als situativer Akt erlebt – als "ich lese", das die Rezeption der Schrift aufgrund ihrer selbstreflexiven Struktur zwangsläufig begleitet und somit die literarisch fixierte Dialogizität im Verhältnis Buch-Leser reanimiert.

 

Was geschieht nun mit solchen literarischen Erinnerungstechniken, wenn Sie auf digitale Medien übertragen werden? Bietet sich die Hypertextstruktur nicht geradezu an, um derartige Verschachtelungen zu realisieren?

Hochpfeil, dann 1.3,

In der Tat gibt es zahlreiche derartige Adaptions- und Überbietungsversuche Platons.

Klick auf Bolter: 1.3.03,

Das Argument ist dabei immer wieder, daß der Hypertext die Lösung für die von Platon ausgesprochenen Warnungen vor der Schrift sei, weil er noch besser als Platons Dialoge Interaktivität ermögliche.

Rechtspfeil

Durch die Eingriffsmöglichkeiten in die Struktur von Texten

Klick Lit Kolb

entstehe eine zweite Oralität, die die erste an situativer Anpassungsfähigkeit noch übertreffe.

Wenn überhaupt, kann dies nur für den kollaborativen Hypertext geltend gemacht werden.

Rechtspfeil:  Klick ins Bild: Offline-Version

Hier ein Beispiel, das das an der University of Texas  realisiert wurde:

Der User kann in die Rolle von Sokrates' Gesyprächspartnern schlüpfen – z.B. Gorgias:

Choose persona – Gorgias wählen

Und nun entweder der vorgegebenen Dialogstruktur folgen

Klick auf: "Rhetoric is my Art"

oder eigene Antworten per Email-Formular eingeben:

"I'll tell you what a rhetorician is"

Klick auf Send

Die eingebauten Userantworten erscheinen dann wiederum als vorgegebene Alternativantworten.

Alternativantworten zeigen (Meanwhile...)

So verzweigt sich der Dialog dann gemäß der Dynamik der Leser-Zuschriften.

 

Was aber ist mit einer solchen Ermächtigung des Lesers literarisch gewonnen?

Nicht mehr und nicht weniger als eine faktische Besetzung der Leerstellen, die in der Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Text der kontrafaktischen Imagination vorbehalten waren. Sobald man anfängt, den Dialog interagierend umzuschreiben, wird man feststellen, daß er gar kein Gespräch war, sondern ein schriftlich komponiertes Gefüge von Fragen und Antworten, die gemeinsam teilhaben an einer wohlkalkulierten Dynamik, die zerstört wird, wenn man von der Dramaturgie abweicht. [12]

Die Kombinationsoffenheit literarischer Leerstellen, die der Hypertext durch Verknüpfungen zu perfektionieren scheint, wird tatsächlich durch ihn nivelliert. Gerade weil die platonischen Dialoge invariant und nicht interaktiv sind, baut sich die Komplexität, die ich in meinem Schema angedeutet habe, in der Vorstellung des Lesers auf. Dagegen vollzieht die Nachgiebigkeit des Hypertextes gegenüber jedem Ebenenwechsel eine permanente Komplexitätsreduktion. Für enzyklopädische Anwendungen ist das ein enormer Vorteil, nicht aber unbedingt für ästhetische. Es ist also kein Zufall, daß bisher trotz angestrengter Initiativen zur Förderung der Hypertext-Poesie kein einziger Versuch wirklich überzeugen konnte. Schon macht das böse Wort von der "Klickeratur" die Runde. Denn dasjenige, was den Appellcharakter der Lektüre sonst ermöglicht: das Absehen vom Schriftbild, das wird hier durch Funktionsaufladung der Oberfläche behindert. Der Hypertext funktioniert nur als "Clickable Map", die als grafisches Objekt rezipiert werden muß.

Mit der Maus über Sherrins Layout fahren

 

Das heißt nun nicht, daß der Hypertext nicht auch zur ästhetischen Transzendierung seines mnemotechnischen Grundcharakters fähig wäre. Doch hierfür sind Operationen vonnöten, die über den Bereich der Schrift hinausgehen; an der graphischen Oberfläche vollziehen sich alle kreativen Innovationen des elektronischen Textes –

Klick auf LL

bis hin zur 3-D-Animation mit der neuesten Version von Shockwave.

Swing

Der Text wird hier buchstäblich zum "Clickable Object", dessen räumliche Dimensioniertheit nicht in der Flächigkeit der nächsten Hypertextebene verschwindet.

Es bleibt abzuwarten, ob sich aus solchen visuellen Verräumlichungstechniken ein neuer, tatsächlich interaktiver Umgang mit Texten ergibt. Um hierin Potentiale für die Evokation von Selbstaufmerksamkeit ausmachen zu können, müssen wir aber auf jeden Fall zu einer ganz anderen Art der medialen Wahrnehmung übergehen: zum erinnernden Sehen.

Ich gehe damit über von der Schrift zum Bild:

Klick oben links, dann  2.1.

 

II. Video

Das literaturwissenschaftliche Leerstellenmodell läßt sich nicht ohne weiteres auf die bildende Kunst übertragen. Während ein Leser von den individuellen Eigentümlichkeiten des Schriftbildes in der Regel absehen muß, um Texte zu verstehen, muß sich ein Betrachter in die gestalterische Oberfläche versenken. [13] [14]

In der Literatur genügt es zu sagen: "Sie lächelte" – und das entsprechende Gesicht entsteht in der Vorstellung des Lesers. Ein Maler muß das Lächeln zeigen.  Aber auch hier ergänzen wir Unschärfen je nach unseren Erinnerungen:

Klick auf Drehen

Effekt abwarten

Klick auf Steuericon oben

Doch erst in jüngster Zeit haben Kunstgeschichtler, Architektur- und Kinotheoretiker den Terminus Isers aufgegriffen und für ihre Interpretationsgegenstände fruchtbar gemacht. Ich gebe ihnen zur Verdeutlichung ein Beispiel des Hamburger Kunsthistorikers Wolfgang Kemp:

Klick auf Malerei

An Gérômes Gemälde Der Tod des Marschall Ney macht er verschiedene Arten von Leerstellen aus, z.B.:

– Die leere Fläche der Mauer als Ort und Spur einer unbestimmten vergangenen Handlung

oder

– den Raum vor dem Bild, der durch die Bewegungsrichtung des zurückblickenden Soldaten nur angedeutet wird und vom Betrachter erschlossen werden muß [15]

 

Ich gehe auf das Beispiel von Kemp nicht näher ein, sondern möchte zur Erläuterung des erinnernden Sehens unter den Bedingungen analoger Medien wiederum auf eine antike "Urszene" zurückgreifen, um sie dann im Vergleich mit den Gegebenheiten digitaler Medien auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu überprüfen. Als eine solche Urszene bietet sich der Pygmalion-Mythos an.

Klick ins Bild: Firens: Pygmalion und die Propötiden:

Ovid erzählt uns die Geschichte eines Bildhauers, der sich eine Frau nach seinen Wunschvorstellungen schafft. Das zentrale Motiv bei ihm, das den Vorgang der Beseelung plausibel macht, ist die Scham: Pygmalion hat sich – wie hier in dieser Metamorphosen-Illustration gezeigt – von den Propoetiden abgewendet, weil diese "schamlos" gewesen sind, und zur Strafe in Stein verwandelt wurden

zeigen im Hintergrund

Er selbst schafft sich nun eine Skulptur, die den Ausdruck der Schamhaftigkeit annimmt.

Blättern

Ovid dürfte dabei den klassischen Bildtyp der "Venus pudica" – der schamhaften Venus – vor Augen gehabt haben [16] – wie hier die Venus Medici.

Über den Moment der Animation des Artefakts heißt es:

"Wie einer wirklichen Jungfrau ihr Antlitz, du glaubtest, sie lebe,/

wolle sich regen, wenn die Scham es ihr nicht verböte." (250f.) [17]

Damit wird gerade die Erstarrung, das Merkmal der Statuenhaftigkeit, für den Betrachter zum Zeichen einer seelischen Regung!

Die Ferne vom empirischen Leben verleiht ihr einerseits die unnahbare Aura eines Kultbildes, andererseits macht sie es gleichzeitig zum Objekt des Begehrens.

Blättern

Alle Versuche, in der Nachfolge Pygmalions Artefakte als belebt erscheinen zu lassen beruhen auf dieser Dialektik des Begehrens.

Pontormo

Immer ist es die Leerstelle des unausgeführten, unvollständigen Lebensausdrucks, der den Betrachter veranlaßt,

Klick ins Bild: Falconet

seine eigenen Wunschvorstellungen und Sehnsüchten in die Skulptur hineinzuprojizieren.

Klick ins Bild: Rodin

Das Setting von Pygmalion und seiner Skulptur macht entsprechende Rezeptionsvorgaben:

Klick ins Bild: John de Andrea

Der Betrachter dieses Settings wird dabei auf seinen eigenen Betrachtungsvorgang aufmerksam gemacht. So wird die Unmöglichkeit möglich, daß wir uns unser Sehen sehen.

Hochpfeil, Rechtspfeil

Der Begriff der Animation, der einmal den Vorgang der Beseelung durch übernatürliche Kräfte bezeichnete, ist im Computerzeitalter zum terminus technicus geworden. "Animierte" Kultfiguren wie Lara Croft  – hier in der Pudica-Pose –,

Klick auf Lit Däuber-Mankowski

oder Kismet

Klick unten auf "Beispiel"

ein Geschöpf des MIT, das auf seine Umwelt mit Gefühlsausdrücken reagiert – scheinen erst recht belebt, weil sie sich mit elektronischer Hilfe tatsächlich bewegen können.

Aber entgegen einer verbreiteten Ansicht glaube ich nicht, daß der Kultstatus solcher Cyberwesen auf der täuschend "echten" Simulation ihrer Körperlichkeit beruht, sondern gerade auf Schematisierung und Entindividualisierung – Kriterien, die schon für den Ikonenkult gelten. [18]

Solche Wesen wecken belebende Sympathiegefühle, gerade weil sie eine organische Mangelaustattung vorweisen, die zur projektiven Ergänzung einlädt.

Klick ins Filmbild: Real Doll –Ton leise

(langsam:)

Wie bei Pygmalion ist es gerade die Ferne vom empirischen Leben, die das Begehren steigert. Sie ist auch die Ursache für das merwkürdige Faszinosum von Cybersex. Der wahrnehmungspsychologische Effekt der Anwesenheit in der Abwesenheit kommt z.B. bei dieser Computeranimation zum Tragen, mit der eine Sexpuppenhersteller im Internet für seine "RealDolls" wirbt: [19]

Die ästhetischen Attribute der digitalen Animationstechnik werden hier herangezogen, um ein Produkt, das gar nicht digitaler Herkunft ist, sondern nur ein Ding aus Silikon und Stahl, mit der Aura der Beseeltheit auszustatten. [20] Das kann nur deshalb funktionieren, weil das Digitale selbst den Charakter des Geheimnisvollen angenommen hat. Gerade weil sich das "Innenleben" der Computer unserer Sinneswahrnehmung entzieht, erscheinen uns ihre Animationen oft nicht als tote Automatismen, sondern als besselt.

Ein Pionier der Künstlichen Intelligenz, Joseph Weizenbaum, hat sich aufgrund solcher Beobachtungen in einen erschrockenen Kritiker dieser Technologie und ihrer Mythen verwandelt.

Blättern: ELIZA – ggf. Reload! – weitersprechen

Sein Dialogprogramm ELIZA simulierte mit einfachen Mitteln einen Gesprächstherapeuten. Was Weizenbaum so schockierte, war das enorme evokatorische Potential des simplen Computercodes, der die menschlichen Benutzer dazu veranlaßte, ihm intimste Geheimnisse anzuvertrauen. Das läßt sich ebenfalls mit dem Prinzip der Leerstelle erklären: Gerade die Abwesenheit des Anderen entfesselte die Wunschphantasie eines idealen Partners.

Die Weiterentwicklung der Animationstechnik allerdings sorgt dafür, daß auch diese Leerstelle allmählich von einem anderen Sinnesmedium besetzt wird.

Blättern: Pygmalion-Film anspielen, dann Ton weg

George Bernard Shaws Pygmalion-Stück, dem Weizenbaum den Namen seines Programms entlehnte, hatte das schon antizipiert.

In Shaws modernisierter Version des Mythos – hier die Adaption aus My Fair Lady – besetzt die Phonetik den Ort der visuellen Leerstelle und erweist sich als Folterinstrument.

– spielen lassen bis Ende

Der Imaginationsraum der eigenen Träume und Phantasien wird von der Disziplinarmacht der phonetischen Instruktion kolonisiert und zur Hörigkeit gezwungen.

Auch das Internet beginnt mittlerweile in einer Weise zu tönen, die der Phantasie die Flügel binden kann. Auch hier werden wir – zumindest im kommerziellen Bereich – den Pygmalion-Effekt erleben, daß der offene Erwartungshorizont der Imagination auditiv eingeschränkt wird. Ästhetisch ambitionierten Multimedia-Produzenten, die sich nicht dem Trend zur "PowerPointlessness" überlassen wollen, fällt damit auch im Bereich des Klangs  die Aufgabe zu, Leerstellen zu eröffnen.

 

Damit komme ich zum dritten Aspekt, dem Bereich Audio

Blättern, dann Audio (3.1)

 

Leerstellen sind für das Musikhören geradezu konstitutiv. Das hat insbesondere John Cage immer wieder musikalisch erfahrbar zu machen gesucht. Der radikalste Ausdruck hierfür ist sein Stück 4'33",

abspielen

das überhaupt keine Klangangebote macht, sich mithin als die absolute musikalische Leerstelle präsentiert.

Das musikalische Gedächtnis wird damit aber nicht schlechthin verworfen. Vielmehr sollen die kulturell ankonditionierten Hörgewohnheiten, der "Klebstoff" der Tonbeziehungen [21] ,

Klick auf Lit Fuchs

aufgelöst werden, um ein anderes Gedächtnis freizusetzen.

Hinweis auf Spektogramm: Man hört nicht nichts, sondern wird für den Prozeß des Hörens aufmerksam.

Entsprechendes kennt die Musikgeschichte nicht erst seit den Avantgardebewegungen – im Grunde fällt das Aufbrechen von Gedächtniskonventionen zugunsten eines davon verdeckten Erinnerungserlebens mit dem Ursprung der Musik selbst zusammen. Dies läßt sich am Mythos von Orpheus ablesen, der zweifellos die historische Urszene des erinnernden Hörens darstellt.

Blättern: Grabplattenbild von Orpheus

 

Orpheus ist als Sohn der Muse Kalliope ein Enkel von Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung. Unter anderem klagt er so bewegend über den Verlust seiner Geliebten, daß ihr Erinnerungsbild lebendig wird: Er kann Eurydike aus dem Hades zurückholen.

Dabei darf er sich nicht umblicken – ein Hinweis darauf, daß die Musik die sichtbare Welt transzendiert. In Ovids Version der Geschichte heißt es explizit, daß die reanimierte Eurydike solange folgt, wie Orpheus nicht versucht, ihrer im Bild habhaft zu werden.

Klick unten auf "Inszenierungsbeispiel"

Nur virtuell, als Schatten, ist das Erinnerungsbild lebendig.

 

Wir wissen nicht, wie die Musik geklungen hat, der die Griechen jene Wunderkraft zuschrieben. Wir können es nur indirekt, aus Beschreibungen und Abbildungen, erschließen.

Klick ins Bild: Orpheus-Abbildungen

Dabei ist ein vorherrschendes Bildmotiv die Wirkung seines Gesangs auf Tiere.

Klick auf Lit Wegener

Es zeigt an, daß der orphische Klang unmittelbar die Instinkte anspricht. Die Tiere sind, wie Nietzsche das pointiert ausgedrückt hatte, die Meister der Selbstvergessenheit; sie würden diese Fähigkeit auch gerne den Menschen lehren – wenn sie nicht immer gleich vergäßen, was sie sagen wollten. [22]

Blättern: Argonauten

Der Leerstellencharakter der Orpheus-Klänge, ist von der Antike so beherzigt worden, daß es bis ins späte 15. Jahrhundert keinen Versuch gab, sich dem Stoff musikdramatisch anzunähern.

Blättern: Liste

Und Monteverdi bleibt es vorbehalten, 1607 mit seinem Orfeo die Tradition der nun so genannten Oper zu begründen.

Hier setze ich ein, um den analogen Angelpunkt für den späteren Vergleich mit der digitalen Musik zu setzen.

Klick auf Monteverdi – spielt, leise drehen

Monteverdi inszeniert das Vermögen der Musik, Erinnerungen lebendig werden zu lassen, durch einen Kontrasteffekt: Zunächst läßt er Orpheus eine Arie singen, die auf ihre Wirkung hin berechnet ist: La Speranza, die Hoffnung, gab ihm den Rat, einen schönen Gesang, einen "bel canto" anzustimmen. [23] Mit extrem melismatischen Verzierungen, untermalt von Echos, gibt Orpheus eine Probe seiner Kunst:

aufdrehen, bis 2. Echo –abdrehen

Die Echo-Effekte unterstreichen die erhoffte Resonanz-Wirkung der Musik – es scheint, als würde die Natur selbst auf den "bel canto" antworten.

Blättern: 2. Arie, langsam:

Überraschenderweise aber zeigt das bei Charon, dem Fährmann zur Unterwelt, keinerlei Wirkung! Monteverdi demonstriert mit dieser musikdramatischen Pointe, daß es nicht das kunstvolle Dekor ist, das der Musik ihre Macht verleiht. Das verzierte Bitten wird rüde zurückgewisen.

Aufdrehen, bis Ende Charon

Es ist nun gerade diese Zurückweisung, die Orpheus zu ganz anderen musikalischen Effekten motiviert. In seiner Verzweiflung versucht er nicht mehr, seinen Zuhörer artistisch zu beeindrucken, sondern bringt unmittelbar seine Gefühle zum Ausdruck. Und eben diese präkognitive, nicht berechnete Ansprache führt zum Erfolg.

Start 2. Film, spielen bis Stille, dann zurückdrehen

Die Macht der Musik besteht – wie hier drastisch inszeniert – in einer hypnotischen Überwältigung. Charon ist kein Kunstkenner; er reagiert nicht interpretativ, sondern physiologisch auf Klänge. Gegen seinen Willen schläft er ein und gibt so den Weg zum Hades frei.

Rest aufdrehen

 

Die Musikgeschichte hat eine Fülle an Versuchen hervorgebracht,

Blättern,

diese Zauberwirkung jeweils mit den zeitgemäßen Mitteln zu plausibilisieren.

Über die Liste der Orpheus-Vertonungen fahren

Am Listenende stehen bleiben

Aber noch nie wurde so unmittelbarer auf den archaischen Kern des Mythos, die Trance-Wirkung von Klangfarben und Rhythmen, Bezug genommen, wie im Bereich der Techno-Musik, der – von

zeigen:

Ambient über

Trance und

Drum n Bass bis zu

Death Metal

in allen Stilrichtungen an den Orpheus-Mythos anknüpft.

Wer im Internet nach Orpheus sucht, findet ihn denn auch als Label für diese Musikrichtung gut vertreten.

Blättern: Orpheus digital

Die Bezugnahme auf die mythische Überlieferung vollzieht sich auch hier im Modus einer digitalen Amplifikation. So versteht sich etwa der Trance-Techno-Track Engines of Orpheus von EtherGun (2000) als Rückgriff auf die "true legend of Orpheus, undistorted by the Greek mythologists".

Blättern: DJ

Eine Klangprobe kann ich Ihnen nur andeutungsweise geben, da man Techno sehr laut hören muß. Auch von Orpheus übrigens ist überliefert, er habe so laut gespielt, daß "allen die Ohren vom brausenden Spiele erdröhnten". Hier wie da geht es um physiologische Wirkungen, die den Wachzustand des Alltags vergessen machen sollen, um sich präkognitiver Wahrnehmungsschichten inne zu werden. Dies gilt besonders für jene Produktionen, die unter dem psychedelischen Label "Trance-Techno" firmieren und in der DJ-Szene manchen Guru hat.

Film abfahren, nach Interview laut, bei Stimme zurückdrehen

Das Instrumentarium dieser Musik ist inwzischen auch als Computersimulation voll funktionsfähig. Es bietet alle Möglichkeiten zur Erzeugung von Klängen, die Musikpsychologen

Lit: Brandl

als trancefördernd auflisten. Dazu gehören insbesondere

• repetitiver Strukturen

• Schwingungen und Rhythmen zwischen 4 und 13 Hertz, die im Gehirn eine dominante Alpha-Theta-Aktivität hervorrufen

• und die Schalldruck-Empfindung sehr tiefer Töne.

 

Diese Trance-Faktoren haben primär eine "entleerende" Funktion. Trotz ihres Dröhnens, das nur in entsprechendem Ambiente erträglich ist, bilden sie ein Pendant zum Schweigen von Cage: Auch hier wird der "Klebstoff" musikalischer Konventionen aufgelöst. Den Idealtyp von Techno kann man nicht hören, man muß ihn spüren, den Körper von der Musik forttragen lassen, mit dem Ziel einer vollständigen Loslösung vom Alltagsbewußtsein. [24]

Demnach finden wir auch im Bereich der Musik den Effekt, daß der Übergang von der analogen zur digitalen Leerstellenproduktion deren evokatorisches Potential durch Übererfüllung paralysiert. Die musikalische Erinnerungstechnik schlägt auf ihrem technologischen Höhepunkt in reinen Präsentismus um. Die akustische Leerstelle wird total und verschwindet eben darum in der Verschmelzung von Mensch und Soundmachine.

Blättern: Voigt

Doch selbstverständlich gibt es auch hierzu die selbstreferentielle Gegenbewegung. Wolfgang Voigt etwa produziert eine hochreflexive Form von Techno, die mit vielfach geloopten Wagner- und Debussyfragmenten ein gefärbtes Rauschen erzeugt, das konsumistische Hörgewohnheiten umkehrt und das mit jedem Musikhören verbundene Gefühl eines déjà entendu als soches erfahrbar macht und damit eine auditive Selbstaufmerksamkeit erzeugt.

Lit Steinwald

Ton abfahren, etwa ein Drittel bis Tonveränderung, dann abdrehen

 

Mein Résumée fällt also ambivalent aus:

Bild oben: Zurück auf die Startseite

Auf der einen Seite erkennen wir die Tendenz, daß im Übergang von analogen zu digitalen Medien die ästhetischen Leerstellen ihr Erinnerungspotential verlieren, und zwar gerade durch die technische Realisierung des Virtuellen, das der Rezipient sonst in seiner Vorstellung aktiviert. Die Multimedia-Technologie sorgt zudem durch Einschmelzung der traditionell getrennten Sinnesbereiche in das Universalmedium Computer dafür, daß sie sich auch gegenseitig ihre Leerstellen nehmen. Wie wir gesehen haben, wird die Leerstelle im Text durch das Bild okkupiert, die im Bild durch den Klang und die im Klang schließlich durch sich selbst, indem sie totalitär wird: Intertextuelle, interpiktorale, intertonale Sphären ästhetischer Erfahrung scheinen also im Zeitalter der Multimedia-Technik mit digitalen Lückenfüllern zugeschüttet zu werden.

Andererseits gibt es nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, daß eben diese Tendenz mit den Elementen der Digitaltechnik zur Selbstreflexion gebracht und insofern umgekehrt werden kann. So wie die analoge Kunst ihre Aufzeichnungsmaterialien gegen sich selbst zu wenden gelernt hatte, so vermag auch die digitale Kunst aus ihren hypermedialen Speichern neue Leerstellen hervortreiben. Die Voraussetzungen hierfür liegen, formelhaft gesagt, im Übergang von der Multimedialität zur Intermedialität. Darunter verstehe ich ein kontrastives Arrangement der drei Informationsträger Schrift, Bild und Klang, das Zwischenräume einer Schwellenerfahrung eröffnet, die zum Anlaß von Selbstaufmerksamkeit werden können.

Die Analyse und Reflexion solcher Schwellenphänomene ist eine lohnende Aufgabe der Medienwissenschaft. Sie kann diese Reflexion aber nur leisten, wenn sie ihre Befunde aus der konkreten Erfahrung der Multimediaproduktion heraus entwickelt und experimentell erprobt.

 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit



[1] Corinth (Telepolis)

[2] Simon, Michaela: Unschuldige Rechner, bis auf den Saft gequält. Online: www.telepolis.de/deutsch/inhalt/glosse/7836/1.html (8.6.2000).

[3] Es kann sich natürlich auch genauso umgekehrt verhalten:

Startbidl Video, evtl Sequenz, die im entscheidenden Moment abschneidet. in dieser Indifferenz stehen bleiben – oder kann man sogar unseren Zug aus dem Bahnhof herausbewegen?

Wir glauben, daß es der andere Zug ist, der fortfährt, während es in Wahrheit der unsere ist, der sich bewegt.

[5] Linus Torvalds beschreibt eindrucksvoll in seinem neuen Buch, wie frustirerend es für ihn war, im Dunklen herumnzustochern, bis er eine shell fertighatte, die die Sichtkontrolle von Ablaufprozessen ermöglichte

[6]                 Walter Benjamin: „Kaiserpanorama“. In: Ders.: Berliner Kindheit um 1900 (1932/33). Gesammelte Schriften IV.1. Frankfurt/M. 1980, S. 235-304.

[7] Crary, Jonathan: Suspensions of Perception. Attention, Spectacle, and Modern Culture; Cambridge (Mass.) London 1999.

[8] Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist; Hamburg 1991, S. 95.

[9] (vgl. dagegen Iser S. 29: der den polyperspektivischen Roman des 19,. Jh. von der "platonisierenden Korrespondenz, die das Werk als Erscheinung einer repsentativen Bedeutung faßt", abhebt.

[10] Assmann, Jan: Hypolepse – Schriftkultur und Ideenevolution in Griechenland. In: ders.: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen; München 1992, S. 280–292. hier 281 und 285)

[11] Ausdrücklich verweist Assmann auf Platons Phaidros als einen Text, der jenen

"Verlust an situativer Determination kompensiert"(284, Anm. 47),

[12] Diese Dekontextualisierung wird freilich von Hypertext-Apologeten als Vorzug gepriesen, da sie mit neuen Angeboten der "Rekombination" vergolten werde. [Bolz, Norbert [1993]: Am Ende der Gutenberg-Galaxis; 2. Aufl. München 1995, S. 207

 (vgl. Böhle, S. 125). ] Das mag in all den Fällen, wo die einzelnen Textmodule sich überhaupt einigermaßen anschlußfähig zeigen, zwar stimmen; man muß sich aber klarmachen, um welchen Preis: Nur dasjenige ist rekombinierbar, das seiner Substanz nach weitgehend indifferent und nivelliert gegenüber allen kontextuellen Voraussetzungen ist. Es muß also eine dramaturgische Entropie vorliegen, um das neue Partizipationserlebnis durch Linkauswahl zu ermöglichen. Die traditionelle Form der Partizipation durch Imagination dagegen kommt nur durch Klick-Verzicht zustande.

[13] zitiert von Assmann zur Erläuterung ihrer Untershceidung von reading und gazing, S. 241konkret wahrzunehmen, eben jenen "langen kontemplativen Blick" für die Oberfläche zu haben, von dem Adorno sagt, daß sich ihm die Objekte erst "entfalten".

[14] In einem Stück Literatur braucht es zum Beispiel nur zu heißen: "Sie hatte einen überraschten Gesichtsausdruck", und der Leser wird sich mit Hilfe von Einbildungskraft und Erinnerung einen solchen Gesichtsausdruck vorstellen. Ein Bild kann nicht in dieser Weise an die Imagination appellieren. Es muß den überraschten Gesichtsausdruck darstellen..

[15] Für die Bestimmung der Spezifik piktorialer Leerstellen bleibt es wichtig festzuhalten, daß diese Leerstellen nicht einfach Auslassungen sind; sie funktionieren nicht durch ein Absehen vom Dargestellten, sondern werden durch bildliche Elemente angestoßen – wie etwa die helle Stelle an der Mauer, die wie eine Aureole die vormalige Position des Erschossenen anzeigt.

[16] Wenn wir einen griechischen Geschmack zugrundelegen, dann könnte sie etwa so ausgesehen haben wie hier die Aphrodite von Knidos.

[17]               Auch als die Figur am Ende von Venus in einen realen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt wird, ist Scham ihr eigentliches Lebenszeichen: "Die Jungfrau fühlte die Küsse,/ und sie errötete" (292ff.).

[18] Das Entrücktsein vom empirischen Lebensausdruck ist es gerade, die jene Ferne in der Nähe ermöglicht, die nach Benjamin das zentrale Merkmal der Aura ist. (Benjamin)

[19] Im Werbetext für das Video heißt es – ganz analog zur Geschichte von Pygmalion, der hier Max heißt –:

"Max, a man struggling with his sexual confidence with women, breaks up with his long time girl friend Madaline … and discovers true love and sexual fulfillment in the arms of a RealDoll, which comes to life … filling his nights with hot sensual pleasures. During Max’s journey to the perfect sex partner, he learns the secrets to a perfect relationship from his friend Fred ..."weiter im Text heißt es: Since the start of our business we have received requests for a video featuring our Real Dolls. Who better to test the qualities of a Real Doll than Ron Jeremy, the king of Adult Films. This is not a low budget "Gonzo" film, but rather a feature film with explicit sex. If you have been wondering what a RealDoll looks like in action, then this film is a must for your collection."

[20] Es wird also just dasjenige, was jeder herkömmliche Automatenbauer tunlichst zu verbergen suchte: die Maschinerie, die nur einen Schein von Leben erzeugt, zum Merkmal seiner Begehrenswürdigkeit.

[21] Metzger, Heinz-Klaus: Versuch über prärevolutionäre Musik. Begleitheft zur Schallplatte Music before Revolution; #

 

[22] Nutzen und nachteil

[23] Das hat natürlich nichts mit dem erst im 19. Jh. aufkommenden "Belcanto"-Gesang zu tun, kann aber "wie eine erste Arie gehört werden": (Recl. 277)

[24] Allerdings bleibt diese Art der Erzeugung musikalischer Leerstellen insofern hinter ihren anaolgen Vorläufern zurück, als sie jeden Bezug auf ihr anderes, das musikalische Gedächtnis, im reinen Sound-Erlebnis auflöst. Das läßt den Raver, wie die Kulturkritik argwöhnt, eins werden mit der Technologie, die seinen Alltag bestimmt, aus dem er sich durch dieselbe Technologie zu befreien versucht.