Peter Matussek

Die Realität einer Illusion.

Grafische Benutzerführung auf dem Macintosh

 


Erschienen in: MACup Extra 1 (1988), S. 28–30.

 

     
 

Nachmittags in Paris. Menschengewimmel flutet aus der Metrostation. Man löst sich vom Strom, gewinnt eigene Richtung, überquert todesmutig den Kreisverkehr. Ein kleines Bistro zieht gerade meinen hungrigen Blick an - als er plötzlich in schwindelnde Höhe gerissen wird: ein Aufzieher in die Totale zeigt hinter die Filmkulissen.

Keine Austern in Paris, stattdessen Chips im Kinosessel - so beginnt Truffauts 'Amerikanische Nacht', ein Film über den Film. Er war mir etwas zu abgestanden, dieser Desillusionierungstrick.

Aber der mit dem 'Push' war es nicht. Obwohl er im Prinzip genauso funktioniert. Vom Apple-Menü aus gestartet, läßt das freche Schreibtischzubehör eine Illusion platzen, die der nichtsahnende Mac-Novize für untrüglich real hielt: In ergreifender Sturheit schiebt ein Zeichentrick-Männchen die Bildfläche samt Ikonen, Fenstern und Menübalken wie eine Filmkulisse beiseite, bis nur noch gähnend schwarze Leere übrigbleibt.

Für Nervenstarke gibt es denselben Gag in einer Katastrophen-Version: 'Flow' läßt die Mac-Welt spektakulär in sich zusammenstürzen wie bei einem Erdbeben. Warum ist die Pointe dieser Programme wirkungsvoller als die des Films?

Während ein Leinwand-Bistro schwerlich die Erwartung weckt, daß es den Wünschen der Kinozuschauer Beachtung schenkt, reagiert der Mac-Screen klicksensibel auf jede Menübestellung - solange nicht das 'Push'-Männchen dazwischenkommt. Da ich nie zuvor einen anderen Computer als den Mac kennengelernt hatte, nahm ich verblüfft zur Kenntnis, daß mein alltäglicher Mausbetrieb offenbar einem Mißverständnis aufgesessen war. Einem produktiven Mißverständnis allerdings, das sich "grafische Benutzerführung" nennt.

Ein Spielfilm kann nur eine Illusion der Realität geben. Wenn das Mac-Publikum dagegen am Bildschirm einen Ordner öffnet und ein Dokument hineinlegt, dann ist dieser Vorgang simuliert und wirklich zugleich. Simuliert, weil das Abbild eines Ordners nun mal kein Ordner ist. Wirklich, weil sich das Dokument fortan tatsächlich in jenem Ordner befindet. Die Illusion produziert Realitäten. Das ist der Clou des "Direct Manipulation Interface" - so der Fachausdruck für grafische Benutzerführung.

Das neuartige Schnittstellendesign bietet dem Computerbenutzer eine Modell-Handlungswelt, in der er genauso unmittelbar mit Objekten hantieren kann, wie in der normalen Alltagsrealität. Entwickelt in den Labors von Xerox PARC, blieb seine Entdeckung für die Homecomputerkultur einem "Genie im Aufgreifen guter Ideen" (John Sculley über Steve Jobs) vorbehalten: Der legendäre Apple-Gründer brachte einer entzückten Mac-heit die WYSIWYG-Philosophie ins Haus.

WYSIWYG steht für: "What you see is what you get". Die eingängige Parole revolutionierte den Begriff des Personal Computers, indem sie ihn beim Wort nahm. Während herkömmliche Systeme von ihren Benutzern verlangten, daß sie sich ihren spröden Maschinencodes anpassen, paßt sich der Mac der bildhaften Sprache des Menschen an. MS-DOS, das bisher für progressiv gehaltene Betriebssystem der IBM-PCs, nimmt sich gegenüber den neuen Mitteilungsformen aus wie ein barocker Traktat. Die Ortsveränderung eines Dokuments zum Beispiel erfolgt hier mit einer Tastatureingabe von der Art: "copy A:/HV1/UV1/UV2/Dokumentname B:/HV2/UV1". Mac-Anwender können sich das stupide Hacken sparen, denn sie verfügen über ein visuelles Steuergerät. Mit der Maus schieben sie das Dokument an die gewünschte Stelle, ganz wie ein normales Stück Papier.

Um solche Benutzerfreundlichkeit zu ermöglichen, war es zunächst erforderlich, digitale Information in analoge zu übersetzen. Man kennt das von Uhren: die Ziffernfolge "09:23:57" ist schwerer zu fassen als eine Zeigerstellung, die uns augen-blicklich sagt, daß es gleich halb zehn ist.

Wahre Emanzipation vom Maschinendiktat erschöpft sich aber nicht in schönen Bildchen. Ein freundlicher Tyrann ist immer noch einer, sagten schon die Jakobiner und verlangten Konkreteres: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Macintosh-Revolution hat dieselben Forderungen - wenn auch in psychologisch modernisierter Fassung - an das neue Medium herangetragen:

- Freiheit: Der Benutzer sollte fortan frei entscheiden können, was er als nächstes tun wolle. Nicht länger sollte ihn der Computer in die Knechtschaft starrer Abfolgen zwingen ("erst mache A, dann B, dann C..."), sondern offen sein für seine spontanen Wünsche. Aus dieser Maxime sind die Pull-Down-Menüs entstanden, die ihre Dienste liberal wie Stimmzettel anbieten.

- Gleichheit: Jedes Programm kommt mit den gleichen Anlagen auf die Mac-Welt; die Unterschiede in der Gestaltung der Oberflächen sind aufzuheben. Der Benutzer sollte das Gefühl haben, stets in einer vertrauten Umgebung zu arbeiten, anstatt immer neue Bedienungsweisen erlernen zu müssen. Ob Fenster, Ikonen, Schaltknöpfe - ein Standardvorrat an grafischen Benutzerelementen sorgt für die optische Konsistenz der Programme.

- Brüderlichkeit: Der Computer sollte auf den Benutzer verständlich reagieren, statt ihn vornehm zu ignorieren. Was die Psychologen Rückkopplung oder Feedback nennen, das simuliert der Mac, indem er auf jede Aktion sichtbar oder hörbar eingeht: er biept bei unsinnigen Mausklicks, verändert das Aussehen aktivierter Objekte und holt sich bei folgenschweren Operationen eine Rückversicherung.

Auf der Grundlage dieser Innovationen verkündete ein aufsehenerregender Werbespot im Orwell-Jahr 1984 die Menschenrechte der Computergesellschaft. In der Tat: der "Computer for the rest of us" ist geeignet, seinen Benutzern die Autoritätsangst vor der neuen Technik zu nehmen. Er wirkt sich auf die Fehleranfälligkeit aus wie ein Schwebebalken, der zu ebener Erde verläuft. Arbeitspsychologische Tests ergaben, daß die Lernleistungen an ihm bedeutend höher sind als bei konventionellen Systemen. Was Wunder, wo doch der Mac-Anfänger vieles gar nicht erst lernen muß, weil er es aus seiner Alltagswahrnehmung her kennt. Statt das Handbuch zu konsultieren, schiebt er eine Begrüßungsdiskette ins Laufwerk oder erfährt durch eigenes Probieren, wie kinderleicht die Grundbegriffe - besser: Grundmetaphern - der Mac-Bedienung sind. Entlastet von unnützem Wissensqualm, kann er sich frisch ans Werk machen.

Allerdings ist Entlastung eine zweischneidige Sache. Der antiautoritäre Computer, der seinen Benutzer schon beim Einschalten mit freundlichem Willkommensgruß angrinst, vermittelt Anfängern bisweilen das Gefühl einer unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Wo MS-DOS-Zöglinge Dienst nach Vorschrift leisten, vergeht dem Mac-Verwöhnten jedes Gefühl für Widerstände. Treten doch einmal welche auf, kann er sie nicht so routiniert wegstecken wie diejenigen, die wissen, was eine Harke ist. Sie sind paralysiert. So ist es mir jedenfalls ergangen, als ich die erste "Bomben"-Drohung erhielt. Gewohnt, die Bildersprache des Geräts beim "Wort" zu nehmen, hatte ich die schreckliche Vorstellung, daß es im Begriff stand, sich in Rauch aufzulösen.

Meine Panik war natürlich unbegründet, wie ich nach einem Notruf erfuhr. Ich kannte mich noch nicht aus in der großen Mac-Welt und erlebte die erste Fehlermeldung wie Sunnyboy den ersten Korb.

Mac-User haben eine geringere Frustrationstoleranz, weil sie seltener frustriert werden. Sind sie deshalb inkompetenter, Sonntagsfahrer der Computerkultur?

Leider lassen sich immer noch viele Leute einreden, daß die Versklavung des spontanen Selbstausdrucks durch herkömmliche Systeme notwendig sei, um den Computerführerschein zu machen. Hartnäckig hält sich der Mythos, das stupide Einpauken komplizierter Gebrauchsanleitungen habe irgendetwas mit dem Verständnis der Vorgänge im Rechner zu tun. Nein, die beruhen allein auf der Kunst, bis zwei zu zählen - das allerdings in den verschiedensten Kombinationen. Die Bezeichnung dieser Kombinationstypen nun obliegt willkürlichen Sprachvereinbarungen. Im Mac-Zeitalter hat sie ein Niveau erreicht, die das Eingabe-BASIC für den Computerdialog so überflüssig macht wie Kenntnisse in Frühneuhochdeutsch für eine Plauderei. Freilich kann auch dabei mal ein Wort verunglücken. Dann hilft aber dessen Frühform auch nicht weiter, sondern nur die Richtigstellung seines Sprachgebrauchs.

Der Mac verfügt an sich über eine sehr prägnante Sprache. Dennoch kann es am Anfang nicht ausbleiben, daß man sich fragt, wie er dies oder jenes gemeint hat. Dem abzuhelfen, seien hier einige Hinweise auf die Grundlagen seiner Grammatik angebracht: die Funktionsweisen von System, Finder und Ordnern.

Grundlagen der Macintosh-Grammatik

Der "Happy Mac" signalisiert, daß man ihm den erforderlichen Grundwortschatz zugeführt hat: eine Datei namens System, die er, von Diskette oder Festplatte gelesen, benötigt, um alle folgenden Instruktionen überhaupt verstehen zu können. Die Systemdatei ist somit eine Art Dolmetscher zwischen ihm, der Hardware und den Programmen, der Software. Das Mißverständnis, dem ich bei meiner Bombenpanik aufgesessen war, bestand darin, daß ich die Hardware betroffen glaubte, wo lediglich die Software hakte. Ich dachte, der Computer sei kaputt, aber tatsächlich war es nur ein Scheitern des Systems bei dem Versuch, eine Programminstruktion zu verstehen.

Ein gewisser Teil des Mac-Betriebssystems steckt allerdings schon in der Hardware, den ROMs. ROM bedeutet: "Read Only Memory" und besagt, daß in diesem Speicherbereich nur gelesen, aber nicht geschrieben werden kann. Er ist also unveränderlich und keine noch so fehlerhafte Eingabe kann ihm etwas anhaben (außer einer Kanne Kaffee). In diesem Hardware-Teil des Betriebssystems befindet sich unter anderem die Macintosh Toolbox, eine Art Lager für diverse Bedienungselemente. Die Funktion der von Diskette gelesenen Systemsoftware besteht nun darin, die von einem Programm benötigten Bedienungselemente aus jenem Lager herauszuholen und sie ins RAM (von: Random Access Memory), den frei veränderlichen Speicher, zu bringen. Für diesen Zweck enthält es ein Verzeichnis der - tatsächlich so genannten - "Adressen", in denen sie zu finden sind.

Wenn der Benutzer eine Eingabe macht, auf die sein Programm nicht gefaßt war, dann kann es passieren, daß das System sie in eine falsche Adresse übersetzt und damit den Verarbeitungsprozeß durcheinanderbringt. Solche Ausrutscher sind praktisch nie ganz auszuschließen. Ein Computerprogramm enthält ähnlich viele Kombinationsmöglichkeiten wie ein Schachspiel. So kann der Programmierer unmöglich alle Fehlbedienungen des Benutzers vorhersehen, um sie abzufangen.

Dennoch haben Mac-Programme grundsätzlich eine relativ geringe Fehleranfälligkeit. Auch das ist ein Verdienst des Betriebssystems: Da die Toolbox komplette Routinen enthält, die wie Fertigbauteile abzurufen sind, erhalten die Programme eine solide Grundstruktur. So sorgt zum Beispiel der Aufruf einer Dialogbox automatisch dafür, daß Mausklicks in andere Funktionselemente abgefangen werden.

Natürlich hätte man auch das gesamte Betriebssystem in den ROMs implementieren können. Es gibt aber einen guten Grund, dies nicht zu tun: die Aktualisierbarkeit. Hat man nämlich im Laufe der Zeit Fehler entdeckt oder neue Möglichkeiten der Effizienzsteigerung gefunden, dann braucht man nur den Software-Anteil des Betriebssystems umzuschreiben, anstatt teure Chips auszutauschen. Ungefähr jedes halbe Jahr bringt Apple ein solches System-Update heraus. Um die Möglichkeiten des Mac voll zu nutzen, empfielt es sich, immer mit der neuesten Version zu arbeiten.

Die Systemdatei enthält aber außer dem unentbehrlichen Grundwortschatz noch weitere Elemente, deren Zusammensetzung dem Benutzer überlassen ist: verschiedene Zeichensätze und Schreibtischzubehör, die sogenannten DAs (von: Desktop Accessory), wie zum Beispiel Wecker oder Druckerauswahl. Das Programm "Font/DA Mover", zu deutsch: "System konfigurieren", erlaubt das Zuladen und Entfernen von Schriftarten und Schreibtischzubehör nach Gusto. (Es enthält auch einen "Hilfe"-Knopf, der erklärt, wie es gemacht wird.)

Der erste Gedanke also, der den Mac bewegt, wenn man sein Hirn einschaltet, ist die Frage, ob er irgendwo an eine Systemdatei herankommt. Wenn er sie gefunden hat, dann grinst er kurz und kommentiert den Ladevorgang mit einem "Willkommen".

Doch damit nicht genug. Hat der Mac die Systemnachrichten gelesen, so hält er nach dem ersten Programm Ausschau, das er übersetzen soll. Nun, einige Miniprogramme enthält ja schon die Systemdatei: das Schreibtischzubehör. Es präsentiert sich auf dem Bildschirm in einem eigenen Menü, symbolisiert durch den Apfel. Während der Rest der Menüleiste an die einzelnen Programme mit ihrem speziellen Befehlsvorrat geht, bleibt das Apple-Menü während aller Programmläufe unverändert bildschirmpräsent und gestattet somit etwas, das in der Fachsprache Multitasking genannt wird: die parallele Arbeit in verschiedenen Programmen. So kann der Benutzer zum Beispiel, während er in MacWrite einen Brief schreibt, ein DA zur Terminplanung aufrufen.

Auf das Thema Multitasking kommen wir gleich zurück. Zunächst ist noch eine weitere Besonderheit des Apfel-Menüs zu erwähnen: die erste Zeile der DA-Liste bietet immer Zugriff auf ein Informationstäfelchen über das gerade laufende Programm. Im Normalfall steht dort nach dem Betriebsstart: "Über den Finder..."

Der Finder organisiert die Verwaltung der gespeicherten Daten und darf deshalb nicht fehlen. Als Startprogramm, das Programm, das vom System als erstes geladen wird, zeigt er sich in der typischen Mac-Oberfläche mit eigener Menüleiste, Fenstern und Ikonen. Er figuriert als Schreibtisch, unter dem sich sein Markenzeichen, der Papierkorb, befindet.

Mit den Grundfunktionen des Finders werden Sie sich schon vertraut gemacht haben. Aber wußten sie auch schon, daß Sie Disketten bequem auswerfen können, indem Sie ihre Abbilder über den Papierkorb ziehen? Und daß Sie die Warntafel beim Wegwerfen von Programmen bzw. gesperrten Dokumenten umgehen, wenn diese den Weg zum Papierkorb bei gedrückter Options- bzw. Befehlstaste antreten? Viele Arbeitsschritte im Finder werden so unter Zuhilfenahme der Sondertasten vereinfacht. Zum Beispiel sorgt die Optionstaste dafür, daß ein Klick in die Schließbox eines Fensters alle offenen Fenster schließt. Und daß der Aufräumbefehl die Ikonen innerhalb eines Fenster lückenlos aufreiht.

Der Finder ist mit von der Partie, auch wenn er gar nicht in Erscheinung tritt. Zum Beispiel ist es möglich, über den entsprechenden Befehl im "Spezial"-Menü anstelle des Finders ein anderes Programm zum Startprogramm zu erklären, das man zuvor per Mausklick ausgewählt hat. Dann wird das System bei Betriebsstart wie gewohnt den Finder um seinen Einsatz bitten und von diesem die Auskunft bekommen: "OK, ich bin im Spiel, aber Programm soundso soll weitermachen." Er läßt also dem jeweiligen Startprogramm den Vortritt auf der Bildschirmoberfläche. Dennoch arbeitet seine Aufmerksamkeit während eines Programmlaufs diskret im Hintergrund mit. Wenn Sie zum Beipiel ein neues Dokument anlegen, dann trägt der Finder dessen Charakteristika wie Herkunft, Erstellungsdatum und Größe genauestens in ein Verzeichnis ein. Wenn Sie das Programm verlassen, - und sofern wiederum der Finder nicht zum "Passen" bestimmt wurde - sehen Sie wieder seine eigene Programmoberfläche mit den aktualisierten Dateien.

Ob Finder oder irgendeine andere Applikation - das Verlassen eines Programms bedeutet lediglich: "jetzt ist der nächste dran." Aber wie bei einer Pokerrunde nicht immer nur einer die Einsätze macht, sondern mehrere Spieler gleichzeitig im Spiel sein können, so gibt es seit neuestem auch auf dem Mac die Möglichkeit, mehrere Programme gleizeitig parat zu halten.

Diese Möglichkeit eröffnet der "Multifinder" und damit kommen wir zurück zum Thema Multitasking. Der Menübefehl "Startprogramm" setzt, wie Sie gesehen haben, nicht nur das gewünschte Programm in die Startposition, sondern er fragt Sie auch, ob Sie das System mit dem normalen Finder oder mit dem Multifinder starten möchten. Entscheiden Sie sich für letzteres (was allerdings nur bei erweitertem Speicher sinnvoll ist), dann haben Sie sich für einen Finder entschieden, der niemals "paßt". Er bleibt auch beim Zuladen eines neuen Programms sichtbar in dessen Bildschirmhintergrund und wird mit seinen Menüs aktiv, sobald eines seiner Objekte - Fenster oder Ikonen - angeklickt werden. Entsprechend verhalten sich alle über den Multifinder geladenen Programme. Sie stapeln sich am Bildschirm wie ein mehr oder weniger ordentlich gefächertes Pokerblatt.

Mit dieser Technik macht Apple einen weiteren Schritt in der Annäherung der Mac-Oberfläche an alltägliche Wahrnehmungsgewohnheiten. Denn genauso, wie man bisweilen mit Texten, Tabellen und Grafiken gleichzeitig arbeitet, so bleiben hier Dokumente aus verschiedenen Applikationen im Blick und Zugriff.

Da aber das Übereinander verschiedener Programme am Bildschirm dazu führen kann, daß manche Objekte für die Maus unerreichbar sind, bietet der Multifinder zwei alternative Möglichkeiten für den Transfer. Zum einen führt das Apple-Menü zusätzlich eine Liste der geladenen Programme, die somit wie DAs abrufbar sind. Zum anderen kann der Benutzer eine Mini-Ikone, die rechts oben im Menübalken das jeweils "obenliegende" Programm anzeigt, zwecks Rotation anklicken. (Für nähere Informationen über den Multifinder s. MACup...)

Daß der Finder bei seinen diversen Verwaltungsaufgaben die Übersicht behält, verdankt sich einem effizienten Ordnungssystem, dem HFS.

HFS ist die Abkürzung von "Hierarchical File System" und beschreibt die Art und Weise, wie der Mac Ordner als Strukturierungshilfe einsetzt. Seit es Festplatten und andere große Datenspeicher für den Mac gibt, wachsen die Dateienverzeichnisse auf eine Größe an, die schwer zu überblicken ist. Zu Gruppen in Ordnern zusammengefaßt, lassen sie sich leichter verwalten. Das HFS allerdings geht über diese Alltagspraxis noch einen Schritt hinaus: Es erlaubt die hierarchische Verschachtelung von Ordnern ineinander wie in einem Stammbaum. Das entlastet den Mac von der zeit- und speicherraubenden Aufgabe, sich alle Dateien einer Diskette, die manchmal in die Tausende gehen, gleichzeitig zu vergegenwärtigen. Stattdessen merkt er sich nur die Struktur des Stammbaums und verfügt so über die "Pfade", auf denen er zu einem bestimmten Ordner gelangt, um sich seinen Inhalt im Bedarfsfall genauer anzusehen. Deshalb fehlen in den Inhaltsfenstern die Größenangaben von Ordnern. Will man sie dennoch erfahren, muß man aus dem Menü "Ablage" den Befehl "Informationen..." wählen.

Ordner haben somit eine ähnliche Bedeutung wie die Diskettensymbole. Zum Beispiel ist es in beiden Fällen umöglich, zwei Dateien gleichen Namens auf ein und derselben Ebene zu haben. Verschiebt man aber ein Objekt von einem Ordner in einen anderen auf demselben Datenträger, so wird es nicht kopiert - es sei denn, man kündigt die Ausnahme von der Regel durch das Drücken der Optionstaste an.

Von vornherein sollte man sich an das Arbeiten mit Ordnern gewöhnen, denn es hilft, Chaos auf Disketten und Festplatten zu vermeiden. Um Ordner von Dateien leichter unterscheiden zu können, hat es sich vielfach eingebürgert, ihren Namen ein "ƒ" (für "Folder") anzuhängen. Werden Ordner von verschiedenen Personen bearbeitet, so erkennt man den Erarbeitungsstand eines Ordners rasch durch das angehängte Initial des Bearbeiters, ohne ihn öffnen zu müssen.

Anfänger achten beim ersten Sichern von Dokumenten oft nicht darauf, ob sie das richtige Laufwerk und den richtigen Ordner angewählt haben. Ersteres steht in den entsprechenden Dialogtafeln immer rechts über den Funktionsknöpfen, letzterer links über dem Inhaltsverzeichnis. Klickt man dort mit der Maus in den Namen des geöffneten Ordners, so klappt ein Menü herunter, das seinen "Pfad" anzeigt. Über diesen Pfad kann man die Wegkreuzungen ansteuern, die in andere Verästelungen des hierarchischen Ordnersystems führen. Das Navigieren in den verschiedenen Ordnerebenen geht allerdings rascher mit einem ins System installierbaren Spezialwerkzeug, dem HFS-Navigator. Er zeigt in jenem Menü statt des linearen Pfades die Namen der Ordner, die der Benutzer selbst dort einträgt und erlaubt so den direkten Sprung von einem Zweig zum anderen.

Auch das regelmäßige Anlegen von Sicherheitskopien, unverzichtbare Vorsorgemaßnahme gegen traumatisierende Datenverluste, geht bei zweckmäßigem Ordnerhaushalt leichter. Da Programme in der Regel unverändert bleiben, empfielt es sich, alle Dokumente in einem separaten Ordner (ggf. mit Unterordnern) aufzubewahren und diesen komplett zu kopieren (zum Beispiel mit dem Programm HFS Backup). So hat man alle Veränderungen rasch im Griff, anstatt sie mühsam aus verschiedenen Ordnern zusammensuchen zu müssen.

Das Verschwinden der Schnittstelle

Zu einer Zeit, als die Mac-Bombe dank besseren Hintergrundwissens ihre Schrecken für mich weitgehend verloren hatte, stellte mich ein Freund vor eine neue Herausforderung. Er deutete auf die einschlägige Absturzmeldung, die sich bei meinem Eintritt gerade auf seinem Monitor zeigte. "So, was machst Du jetzt?" fragte er. Gelangweilt wollte ich natürlich den "Neustart"-Knopf drücken, aber - schwupps! - rutschte der unter dem Mauszeiger weg. Nach einer ergebnislosen Verfolgungsjagd über den ganzen Bildschirm gab ich es auf. Eher mechanisch, so wie man einen Gegenstand dort sucht, wo man ihn ganz bestimmt nicht verloren hat, drückte ich zuletzt in den gedimmten "Resume"-Knopf: das Scherzprogramm "Bomber" verabschiedete sich. Die Gewohnheiten einer direkt manipulierbaren Schnittstelle zeigten erneut ihre manipulativen Auswirkungen. Sind Mac-User also doch Gefangene einer Illusion?

Sie sind es nicht mehr und nicht weniger als jeder Mensch, der Sprache benutzt. Zum Beispiel sagen wir, daß die Sonne "aufgeht", obwohl wir doch wissen, daß sich in Wirklichkeit nur die Erde um sich selbst gedreht hat. Denknotwendigkeiten sind für uns weniger bindend als Denkgewohnheiten.

Weil unsere Sprache voll ist von Metaphern, genormten Bildern, müßte man sie eigentlich als Lüge bezeichnen. Aber sie ist eine konsequente Lüge, ohne die wir uns nicht verständigen, in der Welt nicht zurechtfinden könnten und insofern "realistisch". Statt uns anzuschnallen, wenn die Astrophysik lehrt, daß unsere Erde raketengleich durchs All schießt, orientieren wir uns zuverlässiger an der Illusion, "festen Boden unter den Füßen" zu haben.

Nicht anders verhält es sich mit der Illusion einer graphischen Benutzerführung. Da rast ein Elektronenstrahl in aberwitzigem Tempo über den Bildschirm und knipst einzelne Bildpunkte an und aus. Der Benutzer aber schert sich wenig darum, solange er der optischen Täuschung vertrauen kann, Dokumente in Ordnern zu finden.

Erst, wenn etwas aus der Bahn gerät, die Erde stoppt oder die Schreibtischwelt des Mac beiseite pusht, dann reagieren wir verdutzt. Wir kippen vornüber, wie im 3-D-Kino bei abrupt gestoppter Kamerafahrt, oder wenden instinktiv den Kopf nach rechts, als ob da gleich ein Ordner aus dem Monitorgehäuse purzeln müßte.

Verblüffung beruht allemal auf dem Bewußtwerden einer Schnitt-Stelle. Daß man sie beim Mac ähnlich wie bei einem realistischen Film normalerweise nicht bemerkt, ist das Ergebnis einer raffinierten Umsetzung wahrnehmungspsychologischer Erkenntnisse. Sein digitales Innenleben präsentiert sich in einer analogen Verkleidung, die unserer Alltagsrealität weitgehend angeähnelt ist.

Aber die WYSIWYG-Technik ist mehr als eine neuartige Form der Mensch-Maschine-Kommunikation. Sie ist der Objekt gewordene Subjektivismus. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, behaupteten schon die Sophisten. Zumindest sollte er es sein, dachte der Philosoph Kant und stellte die Forderung auf, daß sich "der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens" zu richten habe. Und Goethe, der heute im Zuge wachsenden Umweltbewußtseins als alternativer Naturforscher wiederentdeckt wird, ermahnte eine sinnesfremde Naturwissenschaft: "Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre." Die Relativitätstheorie scheint ihm heute recht zu geben. Sie zeigt, daß Raum und Zeit je nach Standort des Betrachters variieren und befestigt gerade deshalb die Gültigkeit unserer standortfixierten Wahrnehmung.

Dieses Wissen ausgerechnet auf die sinnesfremdeste aller Maschinen, den Computer, übertragen zu haben, darf deshalb zu Recht eine Revolution genannt werden. Es ist eine permanente Revolution; die Angleichung der Maschine an den Menschen wird ständig weiter vervollkommnet. Bei Apple ist eine spezielle Abteilung, die Human Interface Group, mit der Erforschung und Entwicklung neuer Schnittstellen-Designs befaßt. Sie besteht ausschließlich aus Frauen. Ihr Ziel ist es jedoch nicht, wie Männerskepsis befürchten könnte, den Benutzer in einer schönen bunten Bilderwelt einzulullen, sondern ihm zu weitestmöglicher Souveränität über den Computer zu verhelfen.

Hierfür ist in erster Linie Transparenz vonnöten. Die visuellen Metaphern des Mac dienen grundsätzlich diesem Ziel. Auch sie sind allerdings erweiterungsbedürftig. Die Bombe zum Beipiel könnte statt einer dürftigen ID für Eingeweihte durchaus eine genauere Fehlerbeschreibung vertragen. Der Finder dagegen zeigt neuerdings bei Kopiervorgängen statt der stupiden Uhr in einem Balkendiagramm den Stand eines Kopiervorgangs. Solche Verfahren verdeutlichen die Arbeitsprozesse eines Computers besser, als technisches Kauderwelsch es könnte.

Neuere Entwicklungen wie akustische Steuergeräte und Tastbildschirme werden ein übriges tun, die Schnitt-Stelle zwischen Mensch und Maschine verschwinden zu lassen. Ohne Narben?

"Freuet euch des wahren Scheins", sprach Goethe. Wieweit das auch der Computerbenutzer der Zukunft getrost befolgen kann, dafür gibt es einen einfachen Lackmus-Test: Was tut er, wenn das nächste 'Push'-Männchen kommt?