Die Studie (Buch und Multimedia-Anwendung) erscheint voraussichtlich 2010.


 

Peter Matussek

Computer als Gedächtnistheater

DFG-Projekt im Sfb "Kulturen des Performativen" (FU Berlin, 1999 ff.)

 

Das nachstehend verlinkte Material darf nur zu internen Forschungszwecken eingesehen und nicht kopiert oder verbreitet werden.

Homepage des Projekts (Spiegel):
peter-matussek.de/Sfb-Website_SK/seiten/b7.html

 


Mediale Präsentationen zur ersten Projektvorstellung



Synopse historischer und aktueller Gedächtnistheater




Videodokumentation der Tagung am 11.4.2003 in Berlin.

     
           

Das Projekt untersucht die gegenwärtigen Formen medialer Wissensinszenierung vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit den Gedächtnistheatern der Renaissance.

Der Vergleich wird dadurch nahegelegt, daß es sich damals wie heute um Ansätze einer Theatralisierung des kulturellen Gedächtnisses handelt, die sich durch ihren performativen Charakter von einer statisch-repräsentativen Erinnerungskultur absetzen. So verfolgten die Gedächtnistheater von Giulio Camillo und Robert Fludd in Abhebung von der scholastischen Summenliteratur nicht nur den Zweck, das Weltwissen ihrer Zeit zu speichern, sondern sie wollten ihre Nutzer zugleich in eine aktive Beziehung zu den dargebotenen Daten treten lassen: Die 'imagines agentes' der antiken Gedächtniskunst wurden im Sinne des Neuplatonismus reaktualisiert, um den Memorierenden selbst in Bewegung zu versetzen.
Einen ähnlichen Anspruch erheben die gegenwärtigen Tendenzen zur digitalen Informationsinszenierung. Sie wiederholen den historischen Metaphernwechsel vom "Speicher" zum "Schauspiel", indem sie das Schnittstellendesign früherer Computergenerationen, das sich noch eng an das invariante Modell von 'storage and retrieval' anlehnte, zugunsten ludisch-theatraler Konzepte überwinden.

Daß die aus einem Amalgam von 'ars memoria' und 'ars combinatoria' hervorgegangenen Gedächtnistheater funktionale Ähnlichkeiten mit den digitalen Kombinationsmaschinen aufweisen, hatte schon Yates (1966) postuliert. Ihre These ist nicht nur in der akademischen Forschung vielfach aufgegriffen worden, sondern hat insbesondere auch Wissensingenieure, Interfacedesigner und Künstler zu konkreten Umsetzungsversuchen inspiriert. So gibt es mittlerweile zahlreiche digitale Gedächtnistheaterprojekte, die sich explizit oder implizit auf die historischen Vorbilder Camillos und Fludds beziehen.

Freilich verbergen sich hinter den Oberflächenanalogien oft fundamentale Differenzen. Der komparatistische Ansatz des Projekts möchte auch dies verdeutlichen, indem er den medientechnologischen Vergleich kulturanthropologisch kontextualisiert. So wird zum Beispiel erkennbar, daß sich die beiden "performative turns" in der Geschichte des kulturellen Gedächtnisses durch ein höchst divergierendes Verständnis von "Animation" unterscheiden: Bedeutete 'animatio' in der neuplatonischen Tradition Übertragung von eigener Lebensenergie, so wird dieser Übertragungsakt durch das computertechnische Verständnis von Animation geradezu in sein Gegenteil verkehrt: die Delegation von Aktivität an die Maschine, die in der Regel zu einem "interpassiven" Rezeptionsverhalten führt. Digitale Adaptionen der historischen Gedächtnistheater verfehlen deshalb prinzipiell deren evokatorischen Charakter – auch und gerade dort, wo sie das spirituelle Motiv der Selbsttransformation durch medienästhetische Mimikry zu reaktualisieren suchen, was aufgrund der gewandelten kulturanthropologischen Kontexte bestenfalls in Parodie mündet. Es gibt allerdings auch Werke der Computer- und Netzkunst, die durch einen selbstreflexiven Gebrauch ihrer eigenen Medialität an die kontemplativen Atmosphären Camillos und Fludds erinnern. Von hier gehen Impulse aus, die die neuen Formen der Informationsinszenierung im Lichte der alten zu erhellen vermögen.

Die Grundfragen des Projekts – entwickelt in Matussek (1997) – werden seit 1999 im Rahmen des sfb 440 bearbeitet. Zwischenergebnisse werden kontinuierlich publiziert, sowohl in Form von Theorietexten als auch medialen Präsentationen (vgl. insbesondere Matussek 2001 und Brüstle/Matussek 2001). Die abschließende Studie – angelegt als Buch und multimediale Internet-Präsentation – entsteht derzeit in Kooperation mit Kirsten Wagner und Robert Edgar.