Peter Matussek

Medienästhetik des Klangs

2. Psychologie des Hörens

2.2.3 Das auditive Langzeitgedächtnis

a) deklarativ/semantisch:

 

b) episodisch/biographisch

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
Auf mich herab in ernster Sabbatstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich, durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Tränen
Fühlt ich mir eine Welt entstehn.
Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

 

2.2.3 Das auditive Langzeitgedächtnis

Die ersten kognitionspsychologischen Studien zum auditiven Langzeitgedächtnis standen im Zusammenhang mit Fragen der Ausbildung an militärischen Sonargeräten (Corcoran et al. 1968). Man wollte herausfinden, inwieweit das Bedienungspersonal darauf geschult werden konnte, charakteristische Veränderungen in der Lautgestalt von Sonarechos (Beispiel oben inks) zu identifizieren, was nur möglich ist, wenn es ein auditives Langzeitgedächtnis gibt.

Auch das Wiedererkennen menschlicher Stimmen – selbst dann, wenn diese nur nachgeahmt werden (Beispiel oben rechts) – ist nur möglich, wenn deren Klang im auditorischen Kortex gespeichert ist.

Dieser speicherartige Typ wird in der Forschung als "deklaratives" oder auch "semantisches" Gedächtnis bezeichnet. Hiervon zu unterscheiden ist ein ganz anders organisierte Typ des Lanzeitgedächtnisses, der in der Fachterminologie "episodisches" bzw. "biographisches" Gedächtnis genannt wird. Wie die Adjektive schon zum Ausdruck bringen, handelt es sich hierbei nicht um mehr oder fest abgespeicherte Inhalte, sondern um zeitlich dimensioniertes Erlebnismaterial, dessen Abruf notwendig einer Re-Inszenierung bedarf und deshalb lebensgeschichtlichen Veränderungen unterliegt.

Da auch das Hören im Unterschied zum Sehen ein zeitlich dimensionierter Vorgang ist, ist es mit der prozeduralen Natur des episodischen bzw. biographischen Gedächtnisses eng verwandt. Unten ein beispiel dafür: Faust will sich gerade das Leben nehmen, als er von der nahen Kirche Glockengeläut und Ostergesänge hört. Diese Klänge lösen eine starke Erinnerung an "kindliche Gefühle" bei ihm aus, die ihn vom "letzten Schritt" zurücktreten lassen.

 

 

2.2.3 Das auditive Langzeitgedächtnis2.2.3 Das auditive Langzeitgedächtnis
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