Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

10. Von der Gutenberg- zur Turing-Galaxis

10.5.1 Das Rieplsche Gesetz

"Trotz aller solchen Wandlungen ist indessen festzustellen, daß neben den höchstentwickelten Mitteln, Methoden und Formen des Nachrichtenverkehrs in den Kulturstaaten auch die einfachsten Urformen bei verschiedenen Naturvölkern noch heute im Gebrauch sind […]. Andererseits ergibt sich gewissermaßen als Grundsatz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, daß die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden können, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen."
(Riepl 1913, S. 5)

"Ein neues Medium ist nie ein Zusatz zu einem alten und lässt auch nicht das alte in Frieden. Es hört nicht auf, die älteren Medien zu tyrannisieren, bis es für diese neue Formen und Verwendungsmöglichkeiten findet."
(McLuhan 1964, S. 203)



10.5.1 Das Rieplsche Gesetz

Bereits 1913 hat der Altphilologe und Journalist Wolfgang Riepl der geläufigen Substitutionsthese von der Verdrängung der alten Medien durch die neuen ein Komplementariatätsgesetz entgegengestellt, demzufolge neue Medien die alten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Die alten Medien verschwinden nicht beim Auftauchen der neuen, sondern ändern lediglich ihre Position im Kommunikationsgefüge, in dem sie neue Funktionen übernehmen.

Riepl hatte sich zwar nicht auf den Buchdruck, sondern auf das antike Nachrichtenwesen bezogen, aber das "Rieplsche Gesetz" lässt sich ohne weiteres auf diesen übertragen. In Anlehnung an Innis (1951) widmete der Literaturwissenschaftler Marshall McLuhan (1962) dem Buchzeitalter, das er "Gutenberg-Galaxis" nannte, eine ausführliche Studie, in der er die typographische Kultur zwar als Verlust der Lebendigkeit oraler Kulturen in Antike und frühem Mittelalter beschrieb. Doch im Aufkommen der neuen Telekommunikationsmedien sah auch er die Chance einer Komplementärentwicklung, die er in seinem Buch Understanding Media (1964) näher charakterisierte.

10.5.1 Das Rieplsche Gesetz10.4.1 利珀法则
SprechblaseSprechblase