Peter Matussek

Medienästhetik der Schrift

11. Vom Text zum Hypertext

11.0 Ãœbersicht

Aus historischer Erfahrung wissen wir, dass die Medienumbrüche von der Oralität zur Literalität sowie vom Manuskript zum Druck mit gravierenden kulturellen Veränderungen einhergingen. Von mindestens ebenso großer Tragweite ist der heutige Ãœbergang von der Gutenberg-Galaxis zur Turing-Galaxis. 

Die markanteste technologische Veränderung ist dabei die Ermöglichung nichtlinearer Verzweigungsstrukturen: Während Texte auf dem Trägermedium Papier grundsätzlich auf einer zweidimensionalen Fläche angeordnet werden müssen, können sie in digitalen Präsentationsmedien auch dreidimensional angeordnet werden. Nach einer Wortprägung von Ted Nelson (1965) sprechen wir in solchen Fällen von "Hypertexten" (von griech. hyper=über), also Texten, die über Texten liegen und durch sog. "Hyperlinks" aufgerufen werden können.

So ganz neu ist das Verfahren aber doch nicht. In der Geschichte der Schrift lassen sich verschiedene Hypertext-ähnliche Verfahren ausmachen, von der kabbalistischen Permutation bis zum unmittelbaren Vorläufer des Hypertextes, Vannevar Bushs Memex (11.1).

Genuine Hypertext-Systeme entwickelten sich seit der Computer-Revolution in großer Zahl, bis sich schließlich mit dem World Wide Web das Protokoll HTTP (Hyper Text Transfer Protocol) als Standard durchsetzte (11.2).

Viele Theoretiker des Hypertextes rekurrieren auf Platons Dialoge, insbesondere den Phaidros, um die Vorzüge des Neuen Mediums zu charakterisieren. Der Hypertext, so das Argument, realisiere, was Platon eigentlich gewollt habe, aber im Rahmen der Manuskriptkultur nicht umsetzen konnte: Das Schreiben von Texten, die auf Reaktionen der Leser reagieren können (11.3).

 

11. Vom Text zum Hypertext11. 从文本到超文本
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