0. Einführung

0.5 Äußere und innere Bewegung

Das dritte Vorurteil besagt, dass das Erlebnis von Lebendigkeit mit dem Perfektionsgrad einer Bewegungssimulation korrespondiert. So nehmen die Computerspiel-Theoretiker gerne das Phänomen der sensomotorischen Identifikation, also den Mitvollzug einer wahrgenommenen Handlung durch das Subjekt in Anspruch, um diese Behauptung zu belegen.

Dabei wird zu wenig beachtet, dass sich die sensomotorische Identifikation in der Regel unbemerkt, "selbstvergessen" vollzieht. Erst, wenn der automatische Mitvollzug einer Bewegung unterbrochen wird – sei es durch einen technischen Defekt oder eine Ruptur innerhalb des Handlungsablaufs –, spüren wir unsere innere Bewegung. Der Ausschnitt aus Hitchcocks Spellbound zeigt zwei solcher dramaturgischen Manöver: das abrupte Innehalten im Moment der Liebe auf den ersten Blick und das plötzliche Verstummen der Psychiaterrunde bei der abnormen Reaktion des Protagonisten.

Der französische Philosoph Henri Bergson (1859–1941) hat eine terminologische Unterscheidung getroffen, die beschreiben kann, was hier geschieht – und zwar anhand des alltäglichen Beispiels einer Handbewegung: Solange ich die Hand in einer spontanen Geste von A nach B bewege, geschieht das ohne leibliche Selbstwahrnehmung. In dem Moment aber, wo ich mitten in der Bewegung anhalte, geht die Energie meiner Aufmerksamkeit in das leibliche Nachempfinden des soeben noch mechanisch vollzogenen Prozesses über. Bergson unterscheidet entsprechend zwischen einer bloß "automatischen Wiedererkennung" und einer "Wiedererkennung mit Aufmerksamkeit".

Fazit: Es ist nicht allein der subjektive Nachvollzug einer Bewegungssimulation, der das Erlebnis von Lebendigkeit vermittelt, sondern eine qualitative Veränderung in der Bewegungsdynamik, die eine leibliche Selbstaufmerksamkeit hervorruft. Der Begriff der Animation wird also erst da im vollen Wortsinn erfüllt, wo uns das Objekt veranlasst, der eigenen Leiblichkeit inne zu werden.

Bis wir Empathie mit Aki Ross und ihren Nachfahren empfinden können, müssen ihre Schöpfer offenbar noch einiges lernen – über die Grundlagen unserer Bewegungswahrnehmung (Lektion 1–4), die Potentiale der Animationstechnike vor (Lektion 5–8) und nach der Erfindung von Bewegungsbildern (Lektion 9–12).