0. Einführung

0.3 Bewegte und bewegende Bilder

Das erste Vorurteil besagt, dass ein Artefakt äußerlich bewegt sein müsse, um lebendig zu wirken. Mit jeder Innovation der Bewegungstechnik kommt es erneut auf – so im 18. Jahrhundert, als die ersten Automaten gebaut wurden, und um 1900, als die Serienbildfotografie die ersten Bewegungsbilder ermöglichte.

Letztere fand einen ihrer schärfsten Kritiker in dem Bildhauer Auguste Rodin (1840–1917), dessen Skulptur Pygmalion Sie rechts im Bild sehen. Als Rodin Fotografien von Eadweard Muybridge (1830–1904) zu sehen bekam (Abb. links) und ein Gesprächspartner dazu bemerkte, hier werde im Unterschied zu vielen Kunstwerken erstmals die wahre Bewegung natürlicher Körper sichtbar, erwiderte er:

Nein, der Künstler ist wahr, und die Photographie lügt; denn in Wirklichkeit steht die Zeit nicht still: und wenn es dem Künstler gelingt, den Eindruck einer mehrere Augenblicke lang sich abspielnden Gebärde hervorzubringen, so ist sein Werk ganz sicher minder konventionell, als das wissenschaftlich genaue Bild, worin die Zeit brüsk aufgehoben ist. [...]
Dieses photographische Modell würde also den wunderlichen Anblick eines plötzlich gelähmten und in seiner Stellung wie zu Stein gewordenen Menschen gewähren […]; von einer fortschreitenden Entwicklung der Gebärde wie in der Kunst ist hier keine Rede.

Rodin selbst versuchte, seine Skulpturen dadurch lebendig erscheinen zu lassen, dass er dem Betrachter Anlass gab, eine innere Bewegung in die Skulpturen hineinzuprojizieren. Dies erreichte er u. a. damit, dass er Teile der Skulptur unbehauern ließ, so dass das Werk in der Imagination des Betrachters fortgeführt wurde. Bemerkenswert ist auch der Ausdruck des Innehaltens seiner Skulpturen, als korrespondiere der äußeren Unbeweglichkeit eine innere Bewegtheit, die den Wortsinn der Animation: Beseelung, erfüllt.

Fazit: Ein Bild muss nicht bewegt sein, um bewegend zu wirken.