4.2.4

Leerstellen im Film

 

In der Filmtheorie wird Isers Terminus der Leerstelle neuerdings aufgegriffen – so etwa bei Edward Branigan (1998), der ihn mit "gaps" übersetzt. Auch David Bordwell (1985) spricht von "gaps". Diesen cinematographischen Leerstellen wird ebenso wie den literarischen das evokatorische, zwischen Protentionen und Retentionen oszillierende Potential zugesprochen, die Imaginationstätigkeit des Rezipienten zu motivieren: "Gaps are among the clearest cues for the viewer to act upon, since they evoke the entire process of schema formation and hypothesis testing" (S. 55).

Bordwell unterscheidet u.a. "narrational gaps" und "causal gaps", also erzählerische und kausale Leerstellen.

Ein Beispiel für eine erzählerische und kausale Leerstelle im Film ist Hitchocks Spellbound (1945). Hier wird der Zuschauer mit der für ihn zunächst nicht erklärlichen Merkwürdigkeit der Zentralfigur konfrontiert, dass diese keine weißen Linien ertragen kann – die erzählerische Lücke stiftet ein Spannungsmoment, bis sich das Rätsel am Ende auflöst: Ein verdrängtes Kindheitstrauma.

Die Theorie der "gaps" lässt sich auf computeranimierte Texte übertragen, wobei dann textuelle und piktorale, eventuell auch auditive Leerstellen zusammenkommen.