2.2.2

Retention von Gelesenem und Protention erwarteten Sinns

 

Dass eine kontinuierliche Lektüre überhaupt möglich ist, beruht auf einem Hiat zwischen zwei Tendenzen, die gleichzeitig für das Textverstehen notwendig sind: dem Vorgriff auf einen erwarteten Sinn (Protention) und der eventuellen rückwirkenden Korrektur dieser Erwartung. Es ist nicht möglich, die Bedeutung eines Wortes beim Lesen "offen" zu lassen; während des Lesens wird sie festgelegt und dann erforderlichenfalls nachträglich korrigiert.

 Protentionsnachweis
Dass es auf Annahmen beruhende Vorgriffe bei der Lektüre gibt, lässt sich schon mit diesem einfachen Versuch nachweisen:

START

Die beiden "Sterne" haben die Erwartung erzeugt, dass es sich auch bei dem dritten Wort um einen Stern handelt. Offensichtlich sind die Augen dem Leser vorausgeeilt und haben den dritten "Stern" fälschlich erkannt, bevor der "Zwerg" die "Elstern" herbeizitierte. Entsprechend verhält es sich mit den anderen beiden Wortreihen.

Ungehemmte und gehemmte Protention
Auch dieser Test kann zum Nachweis der Protention dienen:

START

Der protentive Akt bereitet keine Schwierigkeiten, solange nur die Farbwörter gelesen werden. Wenn wir aber die Farben nennen sollen, dann wird die unterschwellige Protention, mit der wir die Semantik der Wörter aufnehmen, hinderlich. Die erwartete Bedeutung muss jeweils korrigiert werden.