In: Der Tagesspiegel, 30.4.1996, S. 25.

 


Alexander Königs

Per Mouseklick durch das Referat.
Multimedia: Am HU-Institut für Kulturwissenschaften schreiben Studenten neuartige Arbeiten


 

 

 
   
 

Eine eigene Zeitung - das wäre doch was. Wo bis vor zwei, drei Jahren noch immense Investitionen, ein Stab von Mitarbeitern und verlegerisches Können gefragt war, genügen heute ein PC und ein leidlich kundiger Computerenthusiast. Das Internet macht's möglich: die eigene (virtuelle) Zeitung, die auf einem x-beliebigen Server irgendwo in der Welt "ausliegt" und über World Wide Web (WWW), von jedem erreicht werden kann, der an das Internet angeschlossen ist.
Am Fachbereich Kulturwissenschaften der Humboldt-Universität können Studenten lernen, wie solche Web-Seiten eingerichtet und gestaltet werden. Gleichzeitig arbeitet eine Projektgruppe unter Leitung: von Assistent Peter Matussek an der Einrichtung einer Homepage für das Institut.
Noch erreicht man unter dem kryptischen Namen "http:// hppoolO.rz.hu-berlin.de/ ~hO256kef/Home.IfK.html" nur eine Web-Seite mit dem Hinweis "Hier wird gebaut!". Doch schon bald sollen hier genaue Auskünfte über Hintergründe und Forschungsziele der Kulturwissenschaften, das Kommentierte Vorlesungsverzeichnis sowie Lagepläne zu finden sein, die den Studenten die Orientierung im Institut erleichtern. Wer möchte, kann sich auch direkt per Email an seine Dozenten und Kommilitonen wenden, oder geistige Ergüsse in der eigens dafür konstruierten Seite veröffentlichen.
Die Kulturwissenschaftler versuchen aus der abstrakten Formel Multimedia ein handfestes Werkzeug zu machen. Dabei sollen, so Matussek, "keine Technikfreaks herangezogen werden, die prozessorgeil weder nach rechts oder links sehen und sich nicht für praktische Anwendungen interessieren." Die Studenten sollen sich mit der technologischen Entwicklung, die Arbeitserleichterung und neue Perspektiven bringen kann, vertraut machen.
Außerdem scheint Reflexion nötig, um sich von den Schlagwörtern der schönen, neuen Multimedia-Welt nicht verzaubern zu lassen: Kann man aus dem Internet überhaupt gezielt Informationen heraus ziehen - und was sind eigentlich sogenannte Multimedia-Anwendungen? Ein Projektkurs befaßt sich zum Beispiel mit der Integration von Multimedia in Referate und Hausarbeiten. "Die ersten Multimedia-Referate sind gerade in Arbeit. Manchem Studenten gelingt es so, neue Ausdrucksformen zu finden", sagt Matussek.
Für ihn sind Multimedia-Referate ein Gewebe von Text, Graphik, Video- und Audiosequenzen, die untereinander durch sogenannte "links" verknüpft sind und so dem Benutzer leicht verständlich Querverweise und logische Verknüpfungen veranschaulichen. Ein Text bleibt zwar die Grundlage - kompakte Information läßt sich dort am besten verpacken -, jedoch führen Schlüsselwörter den Benutzer auf Mausklick zu digitalisierten Fotos, zu Videosequenzen oder Kalkulationstabellen, in denen verschiedene Fallbeispiele durchgespielt werden können.
Vielleicht werden in ein paar Jahren Referate am Ende der Sitzung als CD-ROM verteilt. Der passive Zuhörer könnte dann zu Hause an seinem Computer zu einem aktiv Lernenden werden, der sich mit der Materie auseinandersetzt. Ton- und Bildsequenzen lassen sich beliebig oft ansehen, Unverstandenes läßt sich von verschiedenen Seiten betrachten. Der Aufbau der Arbeit ist nicht mehr wie bei Texten linear. Ein Schlüsselwort aus der Mitte des Ausgangstextes kann den Benutzer spielerisch über viele verknüpfte Ebenen zum Lernziel führen. Der Studierende kann die für ihn am besten geeignete Lernmethode bestimmen.
Noch haben es Multimedia-Pioniere an den Unis allerdings nicht unbedingt leicht, erfährt Peter Matussek gerade: Er möchte seine Habilitation gerne als multimedial gestaltete CD-Rom herausbringen. Das ist zwar möglich, aber mindestens ein Exemplar muß gedruckt und gebunden werden. Gutenbergs Erben verlangen das so.